An LOTSE scheiden sich die Geister – konstruktive Kritik an einem bibliothekarischen Angebot zur Informationskompetenz
In LOTSE – das steht für Library Online Tour and Self Paced Education – finden sich Informationen und Tipps zum wissenschaftlichen Recherchieren und Arbeiten, welche sich Schüler, Studierende und Wissenschaftler individuell und nach Ihrem Tempo und Anliegen erschließen können und die ihnen dabei helfen sollen, Informationskompetenz aufzubauen. LOTSE ist ein kooperatives Angebot deutscher wissenschaftlicher Bibliotheken.
Neben umfassenden Informationen zu den 5 Oberthemen „Literatur recherchieren“, „Arbeiten schreiben und veröffentlichen“, „Auf dem Laufenden bleiben“, „Adressen und Kontakte finden“ und „Fakten suchen und nachschlagen“ werden Video-Tutorials zu verschiedenen Themenbereichen inkl. dazugehöriger Skripte und Quizes sowie weiterführende Literatur- und Softwarehinweise angeboten. LOTSE soll durchaus auch ein Instrument für die Nutzerberatung sein und bestehende lokale Informationsangebote ergänzen; in vielen Auskunftsgesprächen und Schulungen wird tatsächlich auch auf LOTSE-Inhalte verwiesen. Auf verschiedenen TIB/UB-Seiten verweisen wir auf LOTSE und auch hier im Blog war LOTSE schon mehrfach Thema. Soweit so gut.
Doch an LOTSE scheiden sich – leider und zurecht – auch die Geister. Sowohl bzgl. der Zielrichtung und des didaktischen Konzepts als auch am Aufbau und an konkreten Inhalten. Ebenso werden das Kooperationsmodell und die Möglichkeiten der Nachnutzung der LOTSE-Inhalte kritisch betrachtet.
Warum? LOTSE gibt es immerhin schon 10 Jahre, eine lange Zeit für ein bibliothekarisches Projekt. Trotz eines umfassenenden Relaunchs vor einigen Jahren ist LOTSE – nach Meinung vieler Kolleginnen und Kollegen im Bibliotheksumfeld – kaum sinnvoll nutz- und einsetzbar, weil (nach wie vor) viel zu unübersichtlich und unflexibel gestaltet, in weiten Teilen zu wenig spezifisch und erklärend und leider oft auch nicht mehr sehr aktuell. Auch die eingesetzte „Technik“ ist sicher nicht auf der Höhe der Zeit und bietet nicht das, was heute so erwartet wird.
Was die nicht-bibliothekarischen Nutzerinnen und Nutzer von LOTSE halten und erwarten, bliebe allerdings gezielt zu evaluieren, sich dabei alleine auf einzelne Aussagen, Hörensagen und schwierig zu interprtierende Nutzungszahlen zu beziehen, finden wir jedenfalls nicht legitim.
Die TIB macht mit bei LOTSE. Zu den Beweggründen hat Janna Neumann vor etwas über einem Jahr hier im Blog etwas geschrieben. Nachdem im Mai 2012 von uns das Fach Chemie neu in LOTSE erstellt wurde, haben wir im Januar diesen Jahres auch das Fach Ingenieurwissenschaften in LOTSE eingeführt, welches das bis dahin vorhandene und seit längerer Zeit nicht aktualisierte Fach Elektrotechnik ersetzte bzw. ausweitete. In ihrem Blogbeitrag dazu hat Ella Gabry-Deutscher die Lotse-Nutzer/innen dazu aufgefordert, Feedback zu geben und in einen Dialog einzutreten, damit LOTSE verbessert werden kann und nicht Spielball theoretischer, bibliothekarischer Diskussionen bleibt. Dabei sprach sie mit Sicherheit auch die bibliothekarische Community an, sich konstruktiv(er) einzubringen.
An der TIB hat sich eine kleine Arbeitsgruppe zusammengefunden, bestehend aus Kolleginnen und Kollegen, die sich mit der Erstellung von Inhalten für LOTSE, mit Informationskompetenz und Nutzerberatung sowie mit der (möglichen) Einbindung von LOTSE in unsere eigenen Schulungsangebote und Webauftritte beschäftigt. Ziel dieser AG ist es u.a., den geforderten und notwendigen Dialog hier im Hause anzustoßen und Ergebnisse dieser Diskussion in die Lotse-Community einzubringen. Aus diesem Grund haben wir nun TIB-intern einen halbtägigen Workshop zu LOTSE durchgeführt. Ein Vorgehen, welches wir gerne auch anderen Bibliotheken empfehlen möchten, egal ob sie sich als Kooperationspartner aktiv in LOTSE einbringen oder LOTSE nur nutzen/referenzieren möchten und/oder einfach helfen wollen, Lotse zu verbessern.
Die bei uns sehr intensiv und teils auch sehr emotional geführte Diskussion im gut besuchten Workshop hat jedenfalls viele Themen herausgearbeitet, die es sich aus unserer Sicht lohnen angegangen und weiter diskutiert zu werden, um LOTSE zu verbessern, nutzbar(er) zu machen oder in letzter Konsequenz vielleicht sogar neu zu erfinden. Was davon dann tatsächlich gemacht wird, bestimmen natürlich nicht wir als TIB-Mitarbeiter/innen. Aber wir können es als Teil der Community anregen und mitgestalten. Am 20. Juni – also schon in Kürze – treffen sich die LOTSE-Partner in Münster. Dort wollen wir die Gelegenheit nutzen, unsere gemeinschaftlich herausgearbeiten Kritikpunkte und Ideen vorzustellen und so entsprechende Impulse in die LOTSE-Community geben.
Da wir es für wichtig halten, dass die weitere Diskussion nicht in geschlossenen Kreisen (sowohl TIB-intern als auch LOTSE-intern) sondern offen und konstruktiv stattfindet, möchten wir unsere wesentlichen Kritikpunkte, Ideen und Ansätze schon jetzt vor der Zusammenkunft in Münster in den Kommentaren zu diesem Blogartikel weiter ausführen. Dabei wollen wir z.B. auf die Bereiche Einstieg und Navigationskonzept, Verschlankung und Profilschärfung, Aktualität und Transparenz sowie möglichen Platformalternativen und Community-Orientierung eingehen und freuen uns auf viele ebenfalls konstruktive Antworten und Ergänzungen von innen und von außen.
Product-Owner TIB-Portal und Webredakteur
Ein wesentlicher Kritikpunkt an Lotse ist sicherlich der Einstieg und das Navigationskonzept. Der Einstieg über Fach- und Lokalsichten führt dazu, dass es mindestens 3 Klicks braucht, um an relevante Inhalte zu kommen, lässt man mal die Videos, Skripte und anderen Materialien außer acht. Erst nach Fach- und anschließender Ortsauswahl (alternativ auch „fachübergreifend“ und „ortsunabhängig“) bekommt man die Übersicht der 5 Themenbereiche und deren Unterpunkte. Und auch hier braucht es, je nach Komplexität des Themas, u. U. mehrere Klicks, bevor man tatsächlich an relevante Informationen kommt. Das ist mit Sicherheit kein nutzerzentriertes Design, ohne hier jetzt eine fundierte Einschätzung aus Sicht der Usabilty vornehmen zu wollen – dafür gibt es Profis, die es zu geeigneter Zeit zu fragen gilt.
Ein Vorschlag wäre, bereits auf der Startseite von Lotse in die verschiedenen Themenbereiche einzusteigen und die Fach- und Ortszuordnung nachgelagert oder wo möglich sogar automatisch (z. B. mittels IP-Check) zu machen. Sind lokale Informationen für den zugeordneten Ort vorhanden, dann werden diese immer angezeigt (am Besten als lokale Info gekennzeichnet). Ist der Ort in Lotse nicht vorhanden, dann könnte es einen Hinweis geben, dass für den aktuellen Standort (falls automatisch erkannt) keine lokalspezifischen Informationen vorliegen. Kann der Nutzer keinem Ort zugeordnet werden, könnten die ortsunabhängigen Informationen sowie ein Hinweis zu lokalspezifischen Informationen für bestimmte Orte angezeigt werden. Die Nutzerin / der Nutzer könnte dann (z.B. über ein Auswahlmenü) eine Ortsauswahl vornehmen. Die Ortszuordnung und -auswahl sollte immer angezeigt werden, damit jederzeit (unabhängig vom ermittelten Standort) eine Neuzuordnung möglich ist.
Bezüglich der fachspezifischen Informationen ist eine automatische Zuordnung nicht sinnvoll, so dass zunächst nur die fachunabhängigen Informationen angezeigt werden. Auf den Inhaltsseiten könnte es dann jeweils einen Hinweis geben, falls fachspezifische Informationen vorhanden sind. Über ein Auswahlmenü könnte das Fach gewählt werden und die fachspezifischen Infos würden (ebenfalls geeignet gekennzeichnet) eingeblendet.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die unübersichtliche Gestaltung sowie die inhaltliche Überfrachtung der Themen.
Die Übersichtsseite zu den 5 Hauptthemen könnte aus unserer Sicht verändert werden. Die Anordnung um das Lotse-Logo und die Angabe des ausgewählten Faches ist sehr unübersichtlich. Eine bessere „Raumaufteilung“ würde es ermöglichen alle Themenbereiche ohne zu Scrollen sofort sichtbar zu machen. Die 5 Oberthemen könnten z.B. untereinander oder in zwei Spalten angeordnet und mit einem kurzen Textabschnitt, worum es geht eingeleitet werden. Ggf. kann auf die Anzeige der Unterpunkte verzichtet werden oder dies in kompakterer Form erfolgen.
Bezüglich der inhaltlichen Überfrachtung könnte man über eine Profilschärfung von Lotse diskutieren mit der Frage ob alle angebotenen Informationen tatsächlich relevant für die Zielgruppe(n) sind. Ggf. könnte man sich hier auch auf kernbibliothekarische Informationen „beschränken“.
Weiterhin erscheinen uns die Video-Tutorials vor allem auch durch ihre jeweilige Länge nicht sehr nutzerfreundlich. Oftmals scheinen kurze Informationshäppchen attraktiver zu seien, als lange thematische Ausführungen.
Für ein kooperativ gepflegtes Angebot fände ich eine wiki-basierte technische und organisatorische Lösung besser geeignet. Das würde zum einen die Chance bieten, dass eine größere Basis an der Pflege mitwirken könnte. Nur ein Beispiel: Wenn mir bei der Benutzung etwas Zweifelhaftes auffällt und ich es ohnehin verifizieren muss, bin ich gern bereit, eine Korrektur oder Ergänzung direkt einzutragen, wo ich über die falsche, ungenaue oder unvollständige Information gestolpert bin. Meldung an eine Redaktion (sei es Fachredaktion, sei Zentralredaktion) hingegen ist im Vergleich mit direkter Änderung aufwendiger (Overhead für sorgfältige Formulierung des Vorschlags, explizite Begründung etc.), daher würde ich darauf verzichten.
Dieser erste Punkt hängt natürlich engstens mit dem didaktischen Konzept zusammen: Betrachtet man Informationskompetenz als etwas Statisches und deren Vermittlung als Einweg-Kommunikation (ein Lotse als Sender, viele Nutzer als Empfänger), mögen bisherige Technik und bisheriges Verfahren ausreichen. Betrachtet man das Ganze hingegen als Prozess, wäre es geradezu notwendig, auch den lernenden Nutzern die Möglichkeit zu geben, Inhalte mitzugestalten.
Danke Bernhard für den Vorschlag und die mitgelieferte Begründung. Auf Plattform-Alternativen, insbesondere solche, die auch eine Community-Einbindung ermöglichen, werde ich in den nächsten Tagen noch mal gesondert eingehen. Ein nicht unwesentlicher Punkt ist dabei zu betrachten: Sollen die Inhalte von Lotse über entsprechende Schnittstellen wieder in die Webangebote der beteiligten Einrichtungen / Portale eingebunden werden können oder kann/soll man darauf verzichten.
Das Stichwort Einbindung von Lotse-Inhalten‘ erinnert an einen Punkt, den ich vergessen hat: Nötig wäre eine Lizenz für die Inhalte, die beliebiges Nachnutzen und Weiterentwickeln ermöglicht. (Bei ausschließlicher Finanzierung durch öffentliche Einrichtungen wäre das vertretbar.) Dabei wären Schnittstellen für die Einbindung ausgewählter Inhalte in eigene Oberflächen oder auch für die Übernahme ausgewählter Inhalte in eine eigene Plattform hilfreich. Es ist zwar kaum zu erwarten, dass dann alternative Plattformen für Lotse-Inhalte wie Pilze aus dem Boden schießen werden, aber man sollte einfach die Möglichkeit dafür schaffen: lizenzrechtlich und technisch.
Wie der Kommentar oben von Bernhard Tempel schon andeutet, könnte auch, was Aktualität und Transparenz von LOTSE angeht, manches verbessert werden. Eine Wiki-basierte Lösung wäre da eine Möglichkeit. Aber auch ohne Plattformwechsel ließe sich sicher was machen.
Die große Vielfalt an Informationen in LOTSE macht es nötig, dass viele Seiten und Links immer wieder überprüft und aktualisiert werden müssten. Das bedeutet für die Redaktionen natürlich einen großen Aufwand, so dass man in LOTSE ab und zu auch auf veraltete Informationen oder tote Links stoßen kann. Dabei ist jedoch nicht zu erkennen, wann eine Seite überhaupt das letzte Mal aktualisiert wurde und an wen man sich mit Vorschlägen zur Aktualisierung oder Veränderung bestimmter Informationen wenden kann. Die Angabe des letzten Bearbeitungsdatums auf jeder Seite ließe sich wahrscheinlich schnell umsetzen und auch die zuständige Redaktion könnte benannt werden. Außerdem ist für die Nutzer nicht immer ersichtlich, warum manche Inhalte in LOTSE eingestellt wurden und andere fehlen; das heißt, nach welchen Kriterien die Informationen ausgewählt werden. Es wäre also wichtig, den Benutzern von LOTSE genau dort eine Möglichkeit der Kontaktaufnahme zu bieten, wo auch der Bedarf auftaucht. Möglich wären z.B. ein Feedback-Button oder eine Kommentarfunktion auf jeder Seite. Oder eben die Möglichkeit, dass sich alle gemeinsam an der Bearbeitung von LOTSE beteiligen können, also auch die Benutzer.
Barbara Neuß und Helena Luca
Zum Thema Transparenz haben wir während der Lotse-Partnerversammlung im Juni auch schon diskutiert. Es stimmt, dass derzeit nicht auf ersten Blick ersichtlich ist, wer für welche Informationen verantwortlich ist. Diese Infos finden sich derzeit im Impressum, und man muss natürlich auch dazu wissen, dass Lotse-Artikel und andere Lotse-Angebote sich aus unterschiedlichen Teilen zusammensetzen. Nämlich aus den allgemeinen Infos, die von der Gesamtredaktion gepflegt werden. Dann aus fachlichen Infos, die von den jeweiliegen FachredakteurInnen eingebracht und aktuell gehalten werden und ggf. von Lokalinfos, die die LokalredakteurInnen betreuen.
Wir schauen derzeit, wie sich eine größere Transparenz mit unserem technischen System herstellen lässt. Danke für die Anregung 🙂
Vielleicht noch mal als Hintergrund: Die Einbindung von Lotse-Inhalten ist derzeit den Lotse-Partnern vorbehalten, die ja auch mit ihren Beiträgen die Finanzierung der beiden Viertelstellen (Gesamtredaktion; technischer Support) schultern. Es gibt also bereits eine Einbindungsmöglichkeit von Lotse-Inhalten, wie das Fachportal Pädagogik oder die Virtuelle Fachbibliothek Politik zeigen. Die lizenzrechtliche Komponente in puncto „beliebiges Nachnutzen und Weiterentwickeln“ hingegen zielt ein bisschen auf ein anderes Modell der Zusammenarbeit ab, oder??
Derzeit ist es jedenfalls so, dass Änderungswünsche an Lotse-Inhalten an die Gesamtredaktion (oder jeweilige Fachredaktionen) gehen und dann geschaut wird, was sich machen lässt. So sind wir gerade z.B. dabei, einige sehr verschachtelte Infos zur Fachbibliographien übersichtlicher zu gestalten und so schneller zugänglich zu machen. Zudem haben wir während der Lotse-II-Phase zwei Themenbereiche komplett gestrichen und nur in ein paar Fällen Artikel in andere Bereiche gepackt. (vgl. z.B. http://blogs.sub.uni-hamburg.de/lotse/2009/06/neuer-fahrplanaufbau/ und http://blogs.sub.uni-hamburg.de/lotse/2009/09/endlich-geschafft/). Die Möglichkeit, redaktionelle Änderungen anzuregen hat übrigens jede/r – auch Nicht-Lotsen.
Aber vielleicht habe ich die Aussage zu „beliebiges Nachnutzen und Weiterentwickeln“ auch noch nicht richtig verstanden und das bezieht sich nicht nur auf inhaltliche Änderungen??
Ist für Sie die Vorstellung wirklich so abwegig, dass einige Akteure sich zusammen finden und etwas schaffen, das für die Allgemeinheit wertvoll ist und von ihr nachgenutzt werden kann?
Ja, Nachnutzung im Sinne von Einbindung der LOTSE-Inhalte überall dort, wo die Nutzer es für sinnvoll erachten.
Ich schlage vor, dass Sie einfach mal die beteiligten Einrichtungen fragen, was sie von einer solchen Öffnung durch eine entsprechende Lizenz halten.
Der freier Zugang zu Wissen sollte doch Leitlinie bibliothekarischer Arbeit sein, oder?
Mir war nicht bekannt, dass es LOTSE schon seit 10 Jahren gibt. Ich habe es das erste Mal in diesem Beitrag gelesen. Nun würde ich mich fragen, woran das liegt????