„Community over Commercialization“– Gedanken zum Motto der diesjährigen Open-Access-Woche

Es ist wieder so weit: Die Open Access Week beginnt. Das diesjährige Motto „Community over Commercialization” ermutigt dazu, darüber zu diskutieren, welche Ansätze für eine offene Wissenschaft am besten dazu geeignet sind, die Interessen von Wissenschaft und Gesellschaft voranzubringen und welche nicht.

Wenn die Verbreitung von wissenschaftlichen Erkenntnissen mittels wissenschaftlichen Publikationen mit hohen Umsätzen (ca. 11 Mrd. US-Dollar jährlich) und Gewinnen (30-40 %) einhergeht, stellt sich die Frage, wie sehr dies im Interesse von Wissenschaft und Gesellschaft sein kann: Weite Teile der Gesellschaft sind durch Bezahlschranken von Forschungsergebnissen ausgeschlossen, Bibliotheken leiden unter steigenden Article Processing Charges (APCs) und hohen Book Processing Charges (BPCs) für Open-Access-Publikationen. Publikationsgebühren stellen ein Hindernis für die globale Teilhabe an wissenschaftlichen Diskursen dar, transformative Agreements (deren positive Einfluss auf die Anzahl von Open-Access-Artikeln zwar naheliegt, deren Potenz für eine nachhaltige Umstellung des Publikationssystems auf Open Access aber noch zu belegen wäre) binden große Summen innerhalb von Bibliotheksbudgets und Autor:innen gehen sogenannten Raubverlagen „auf den Leim“.

20 Jahre nach der Berliner Erklärung, die schon 2003 einen Paradigmenwechsel hin zu Open Access zum Wohle von Wissenschaft und Gesellschaft forderte, ist weiterhin eine Marktkonzentration wissenschaftlicher Publikationen bei profitorientierten Großverlagen zu beobachten, während sich institutionelle betriebene Verlage/Plattformen und ihrer Publikationen vorwiegend im „long tail” wiederfinden, wie Margo Bargheer in ihrem einführenden Vortrag zur Konferenz „Wissenschaftsgeleitetes Open-Access-Publizieren” am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft (IBI) an der Humboldt-Universität zu Berlin am 26. September 2023 im Vorfeld der Open Access Tage 2023 erläuterte. Was muss sich verändern, um der Wissenschaft die Kontrolle über die Publikation ihrer Erkenntnisse zu geben? Welche Herausforderungen gibt es für Publikationsinfrastrukturen in akademischer Trägerschaft? Diese Frage wurde auf der genannten Tagung diskutiert. Das Programmkomitee veröffentlichte im Vorfeld ein Thesenpapier, das zur Diskussion gestellt wurde. Da die Diskussionen im Rahmen dieser Veranstaltung sehr gut zum Motto „Community over Commercialization” passen, im Folgenden einige Gedanken anhand einzelner (nicht aller) Thesen:

These 1 des Thesenpapiers schlägt vor, strategische Leerstellen zu schließen:

„Wissenschaftsgeleitete Publikationsinfrastrukturen bedürfen der Unterstützung durch eine übergreifende, großangelegte Strategie. Nur eine öffentlichkeitswirksame Initiative kann die wissenschaftspolitische Unterstützung und die nötigen Finanzierungszusagen gewährleisten und damit die digitale Souveränität in der Wissenschaft stärken.”

Bereits der Ausdruck „wissenschaftsgeleitete Publikationsinfrastrukturen” führte zu Diskussionen darum, ob Publikationsinfrastrukturen, die an Bibliotheken oder Universitäten betrieben werden (wie z.B. TIB Open Publishing), automatisch wissenschaftsgeleitet sind und ob umgekehrt nicht auch verlagsbasierte Publikationen wissenschaftsgeleitet sein können. Auf unklare Definitionen in diesem Bereich und potenzielle Probleme, die daraus entstehen können, wurde in diesem Blog bereits hingewiesen. Festzuhalten wäre an dieser Stelle auf jeden Fall, dass der wissenschaftlichen Community Angebote ohne Datentracking und mit Rechten der Herausgebenden an Titeln und der Autor:innen an ihren Werken mehr geholfen ist, als mit Angeboten, die auf die Bedienung der monetären Interessen ihrer Shareholder ausgerichtet sind.

Nun aber zum eigentlichen Inhalt der ersten These: Auf bestehende strategische Leerstellen hinzuweisen, ist relevant. Offen bleibt aber zunächst, auf welcher Ebene und wie strategische Leerstellen überwunden werden sollen und können, wenn es schon zwischen Bundesländern oder auch unterschiedlichen Ministerien keine wirklich einheitliche Linie gibt? Wie sieht der Bezug zu Europa und der Welt aus?

In diesem Zusammenhang ist positiv hervorzuheben ist, dass verschiedene nationale, europäische und internationale Stakeholder mittlerweile die Bedeutung von Akteur:innen jenseits profitorientierter (Groß-)Verlage anerkennen und dazu auffordern, wissenschaftsnahen Strukturen sowie Open Access ohne Gebühren für Autor:innen zu fördern:

„Bund und Länder ermutigen die akademischen Einrichtungen, eigene wissenschaftsgetragene Infrastrukturen aufzubauen und weiterzuentwickeln, um Autorinnen und Autoren die Möglichkeit zu geben, in wissenschaftsgetriebenen bzw. wissenschaftseigenen Publikationsformen ihre Ergebnisse zu veröffentlichen.” [..] „Der immer stärkeren Kommerzialisierung von öffentlich finanzierten wissenschaftlichen Publikationen ist daher gezielt entgegenzutreten.”

(Open Access in Deutschland. Gemeinsame Leitlinien von Bund und Ländern (2023), S. 6.)

„Der Wissenschaftsrat spricht sich dafür aus, dass die Bibliotheken die Entwicklung und den Betrieb wissenschaftsgeleiteter Publikationsdienstleistungen umfänglich unterstützen. Schon heute betreiben viele Bibliotheken neben Repositorien auch nichtkommerzielle Publikationsinfrastrukturen wie Universitätsverlage. Sie können in besonderem Maße auf die Bedürfnisse ihrer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingehen und sind häufig im Bereich Open Access engagiert oder verstehen sich dezidiert als Open-Access-Akteure, um die Ergebnisse der an ihrer Einrichtung betriebenen Forschung bestmöglich zu verbreiten.”

(Wissenschaftsrat (2022), Empfehlungen zur Transformation des wissenschaftlichen Publizierens zu Open Access, S. 65)

Der Rat der Europäischen Union „BETONT die Bedeutung gemeinnütziger Open-Access-Modelle des wissenschaftlichen Publizierens, bei denen Autorinnen und Autoren oder Leserinnen und Lesern keine Gebühren in Rechnung gestellt werden und Autorinnen und Autoren ihre Arbeit ohne Finanzierungserfordernisse bzw. institutionelle Förderkriterien veröffentlichen können; NIMMT die Vielfalt der Modelle ZUR KENNTNIS, die nicht auf Gebühren für die Verarbeitung von Artikeln oder ähnlichen Gebühren pro Einheit beruhen, und BETONT, wie wichtig es ist, die Entwicklung solcher Modelle, die von öffentlichen Forschungsorganisationen getragen werden, zu unterstützen.”

(Rat der Europäischen Union (2023, Schlussfolgerungen des Rates zu Wegen des hochwertigen, transparenten, offenen, vertrauenswürdigen und fairen wissenschaftlichen Publizierens, S.5)

„Member States are encouraged to promote non-commercial open science infrastructures” (S. 23) (…) Ensuring diversity in scholarly communications with adherence to the principles of open, transparent and equitable access and supporting non-commercial publishing models and collaborative publishing models with no article processing charges or book processing charges” (S. 29).

(UNESCO (2021), UNESCO Recommendation on Open Science)

Diese und andere Empfehlungen zusammenzuführen und zu einer Strategie weiterzuentwickeln, wäre in der Tat wünschenswert.

These 2 fordert dazu auf, die Diversität der Finanzierungs- und Geschäftsmodelle zu berücksichtigen:

„Wissenschaftsgeleitete Publikationsinfrastrukturen bedürfen je nach Community unterschiedlicher Finanzierungs- und Geschäftsmodelle, um den Anforderungen der jeweiligen Communities zu entsprechen.”

Definitiv gibt es disziplinäre Unterschiede und verschiedene Publikationskulturen zwischen (aber auch innerhalb) akademischer Fachgebiete, aber brauchen nicht alle Publikationen im Endeffekt eine Ausstattung mit finanziellen, personellen und technischen Ressourcen? Hier anzusetzen und einen nachhaltigen Betrieb sicherzustellen (siehe auch These 7) ist unabhängig von Fachcommunities nötig.

Auf diesem Gebiet gibt es schon erfolgreiche Initiativen, wie KOALA oder das Open Book Collective, allerdings sind solche gemeinschaftlichen Finanzierungsmodelle noch nicht in der Breite angekommen.

An diversen Stellen (Thesen 5, 6 und 9) wird die Wichtigkeit von Kooperationen auf verschiedenen Ebenen betont. In letzterer geht es um die Zusammenarbeit zwischen Publikationsinfrastrukturen an verschiedenen Einrichtungen:

„Wissenschaftsgeleitete Publikationsinfrastrukturen in akademischer Trägerschaft sollten neue Kooperationsmodelle verfolgen und über institutionelle Grenzen hinweg agieren, damit ihre Sichtbarkeit und die ihrer Publikationen steigen. Auch Kooperationen mit externen Dienstleistern können sinnvoll sein, wenn die Governance im Sinne der Wissenschaft gesichert ist.”

Neben organisatorischen Problemen (universitäre Angebote stehen meist nur den „eigenen  Wissenschaftler:innen offen), beihilferechtlichen Erwägungen (Publikationsinfrastrukturen an öffentlichen Einrichtungen dürfen keine unlautere Konkurrenz zu privatwirtschaftlichen Angeboten darstellen) ist das Thema „Konkurrenz um Drittmittel und Geltung zwischen den Einrichtungen leider oftmals der sprichwörtliche Elefant im Raum, den niemand ansprechen möchte. Kooperationen sollten aber unbedingt stattfinden, da niemandem geholfen ist, wenn jede einzelne Einrichtung nichtnachhaltige Kleinstlösungen aufbaut (vgl. auch These 3, die von einem „systematischen Ausbau spricht.)

Auch hier dürfen Positivbeispiele nicht fehlen, z.B: der Austausch im Rahmen der TU9, an dem die TIB auf verschiedenen Ebenen und zu verschiedenen Themen (z.B. eigenen Publikationsinfrastrukturen) teilnimmt, die diversen Projekte, die derzeit von der Europäischen Union gefördert werden (z.B. DIAMAS und CRAFT-OA – an letzterem ist die TIB als Projektpartnerin beteiligt), die einen besonderen Fokus auf Weiterentwicklung und Verbesserung institutionell basierter Open-Access-Publikationsinfrastrukturen legen, oder der neugegründete Verlag Berlin Universities Publishing, in dem sich vier Berliner Universitäten zusammengetan haben, um gemeinsam Publikationsdienstleistungen für Berliner Wissenschaftrler:innen anzubieten.

Es ist also weiterhin viel zu tun auf dem Weg zu einer offenen Wissenschaft zum Wohle von Wissenschaft und Gesellschaft. Gehen wir weiter voran!

... arbeitet im Bereich Publikationsdienste und betreut dort die Open-Access-Publikationsplattform TIB Open Publishing.