Predatory Journals: Brauchen wir noch mehr Negativlisten?

Vor fünf Jahren sorgte das Problem der Predatory Journals, also fragwürdige Zeitschriften, die wissenschaftliche Artikel ohne Qualitätskontrolle nur des Geldes wegen veröffentlichen, für einigen Aufruhr in den Medien. Seither ist es um das Thema wieder etwas ruhiger geworden, in letzter Zeit häufen sich bei uns aber Anfragen von verunsicherten Forschenden, von denen sich viele auf die Website Predatory Reports beziehen.

Diese Seite will über Predatory Journals aufklären und erinnert dabei stark an „Beall‘s List“ – eine vom amerikanischen Bibliothekar Jeffrey Beall zusammengestellte Liste von Zeitschriften bzw. Verlagen, die von ihm als „potential, possible, or probable predatory scholarly open access publishers“ eingestuft wurden. Diese Liste versprach einfache Abhilfe bei der Einschätzung einer Zeitschrift, wurde aber auch viel kritisiert, vor allem, weil ihre Kriterien nicht transparent waren und die Einschätzung oft fragwürdig erschien. Daneben schien die Liste von generellen Vorbehalten gegenüber Open Access sowie Verlagen aus dem globalen Süden geprägt zu sein.

Anfang 2017 verschwand Beall‘s Liste unter nicht ganz geklärten Umständen aus dem Netz, lebt aber in verschiedenen Klonen weiter. Im selben Jahr startete das Unternehmen Cabells eine Liste von fragwürdigen Zeitschriften, mittlerweile „Predatory Reports“ genannt. Zeitschriften werden anhand von mehr als 60 Indikatoren hinsichtlich ihrer Seriosität eingestuft, was sicherlich für mehr Transparenz und Glaubwürdigkeit sorgt. Das Interesse an der kostenpflichtigen Datenbank hält sich aber zumindest im deutschsprachigen Raum in Grenzen, lediglich fünf Einrichtungen in Deutschland und Österreich haben die Datenbank lizenziert.

Jetzt also die Seite Predatory Reports (die offensichtlich nichts mit der gleichnamigen Cabells-Liste zu tun hat). Sie bietet eine Liste mit „Predatory Publishers“ und eine mit „Predatory Journals“. Dabei handelt es sich jeweils um reine Auflistungen ohne jegliche Begründung. Eine Seite „News“ beleuchtet verschiedene problematische Praktiken, liefert aber wenig Einsichten über die konkrete Einstufung von Zeitschriften. Wer hinter „Predatory Reports“ steht und was die Absicht ist, bleibt unklar. Unter „About us“ erfährt man lediglich, dass es sich um „volunteer researchers who have been harmed by predatory publishers“ handelt.

Für Verunsicherung unter Forschenden sorgt insbesondere die pauschale Einstufung der großen Open-Access-Verlage MDPI und Frontiers als „predatory“. Die beiden Verlage stehen in der Tat häufig in der Kritik. Ihr Geschäftsmodell ist extrem auf Wachstum, sehr schnelle Publikationsprozesse und Automatisierung ausgelegt. Das ist nicht per se verwerflich, kann aber dazu führen, dass verlegerische Standards auf der Strecke bleiben. Die TU9-Bibliotheken und Schweizer Bibliotheken haben einen Survey durchgeführt, der sich mit der Wahrnehmung von Qualitätssicherungsprozessen bei den wichtigsten Verlagen, darunter MDPI und Frontiers, auseinandersetzt. Der Final Report der Studie zeigt kritische Punkte auf, eine pauschale Verurteilung der beiden Verlage als „predatory“ lässt sich daraus aber nur schwer ableiten.

Wir können nur immer wieder betonen: Man braucht eigentlich keine Negativlisten. Es ist sinnvoller und auch ausreichend, Positivlisten wie das Directory of Open Access Journals (DOAJ) oder fachspezifische Datenbanken wie MEDLINE zu nutzen. Das DOAJ verzeichnet aktuell mehr als 19.000 Open-Access-Zeitschriften, die bestimmten Qualitätsstandards genügen. Zeitschriften, die zusätzliche Kriterien erfüllen, bekommen das DOAJ Seal verliehen. Open-Access-Zeitschriften, die nicht im DOAJ gelistet sind, müssen nicht unbedingt unseriös sein, hier empfiehlt sich aber die genaue Prüfung anhand von Kriterien, wie sie etwa von der Initiative Think. Check. Submit formuliert wurden. Auch wir sind gerne bei der Einschätzung behilflich. (Hier berichten wir von unseren Erfahrungen.)

Ob eine Zeitschrift tatsächlich in betrügerischer Absicht handelt oder – ob aus Unkenntnis oder mangelnder Professionalität – „nur“ unterdurchschnittliche Standards erfüllt, ist letztlich wenig relevant. In beiden Fällen publiziert man dort besser nicht. Und was für die Webseiten von möglicherweise fragwürdigen Zeitschriften gilt, gilt auch für die Webseiten, die darüber informieren: Man sollte sie genau prüfen und nicht alles für bare Münze nehmen.

Update (19. Januar 2024): Einer Untersuchung von Cabells zufolge ist die Seite predatoryreports.org nicht nur intransparent, sondern selbst „predatory“ und verlangt offenbar Geld von Verlagen, damit sie von der Liste entfernt werden.

... arbeitet im Bereich Publikationsdienste der TIB und ist insbesondere für Beratung und Schulungen zum Thema Open Access zuständig.