TIB Themencast, Folge 6: „Mehr als nur Infrastructure-over-the-wall – wie können wir neue Webstandards besser unterstützen?“

Willkommen bei der sechsten Folge des TIB Themencasts! Im Themencast „Das Mastodon im Porzellanladen“ geht es um das Fediverse und die Wissenschaft. Warum benutzen so viele Wissenschaftler:innen Twitter und andere Social-Media-Dienste? Was ist bei dezentralen Diensten wie Mastodon anders? Wird Mastodon je Twitter voll ersetzen können – oder ist vielleicht schon diese Frage falsch gestellt? In sieben kurzen Folgen, von Januar bis April 2023, werde ich, Lambert Heller, schlaglichtartig auf diese Fragen eingehen. Hört rein und kommentiert – viel Vergnügen!

Folge 6: Mehr als nur Infrastructure-over-the-wall – wie können wir neue Webstandards besser unterstützen?

In dieser Folge diskutieren wir, wie wir als TIB ein neues Angebot von uns, die Mastodon-Instanz baudigital.social, sehen. Genauer: Warum bemühen wir uns dabei um ein Bündel aus IT-Technik, formeller Verantwortung, gemeinschaftlicher Dienste-Integration und -Weiterentwicklung sowie dem Beherzigen eines „scholar-led“-Ansatzes? Und zum Schluß dieser Folge fragen wir mal ganz allgemein: Warum dauert das mit ActivityPub und dem Fediverse alles so lange? Oder ist es vielleicht gut, dass alles so lange dauert? Welche Konsequenzen könnte das insbesondere für  Forschungsinfrastrukturen haben?

Den TIB Themencast findet ihr überall, wo es Podcasts gibt, und hier:

Hier in den Shownotes bieten wir weiterführende Informationen zu den Themen der jeweiligen Folge – chronologisch in Stichpunkten.

Zunächst ein Punkt zur Erinnerung an vorangegangene Podcast Folgen:

  • Es gibt mitterweile viele tausend aktive Mastodon Instanzen (vgl. hier und hier). Viele davon werden von Privatpersonen in deren Freizeit betrieben, oder von Spenden finanziert. Wie schon in vorangegangenen Folgen erwähnt ist das auch gut so, doch nun befinden wir uns im Übergang zu einer Konsolidierungsphase, in der andere Player – im Falle von Mastodon unter anderem große öffentliche Institutionen sowie große Unternehmen – die Bühne betreten.

Nat Torkington hat 2010 „den Begriff Data over the Wall“ geprägt. Demzufolge gehört zur Kultur von Open Data mehr, als irgendwelche Daten unkommentiert einmalig auf irgendeinem Server zu hinterlegen.

  • Analog dazu könnten wir heute sagen: Zur Kultur der Implementierung und aktiven Nutzung neuer Webstandards gehört mehr, als nur einen Domain-Namen zu kaufen, und damit dann einmalig bei einem kommerziellen Hoster eine Standard-Software aufsetzen und betreiben zu lassen. Das wäre quasi „Infrastructure over the Wall“. Mit Standard-Software (im Fall von ActivitityPub: einer eigenen Mastodon-Instanz) zu beginnen, ist zwar nicht verkehrt, aber es macht einen Unterschied, ob ich diese nur betreiben lasse, oder sie selbst administriere. Letzteres ist eine gute Voraussetzung dafür, sie nach und nach mit anderen Diensten zu integrieren, die ich als Forschungsinfrastruktur betreibe – wie das aussehen kann, dafür haben wir im Laufe dieses Themencasts ja bereits einige Beispiele von innerhalb und außerhalb der TIB diskutiert.

Wie können Forschungsinfrastrukturen die Konsolidierungsphase aktiv mitgestalten, statt nur „Infrastructure over the Wall“ zu praktizieren? Der Schlüssel könnte darin liegen, Aktivitäten auf verschiedenen Ebenen miteinander zu kombinieren:

  • Sie können ihre Fachcommunities gezielt entlasten, in dem sie Dienste in eigener formaler Verantwortung betreiben (anstatt das zum Beispiel Privatpersonen zu überlassen);
  • sie können Dienste wie Mastodon selbst hosten oder administrieren, um – gemeinsam mit anderen Akteuren – zur fortlaufenden Weiterentwicklung und Integration beitragen zu können;
  • sie können eigene Erfahrungen sammeln und auf dieser Grundlage Fachcommunities dabei unterstützen, für die entscheidenden Dinge selbst gemeinschaftlich die Verantwortung zu übernehmen. Ein solcher „scholar-led“ Dienst würde seine eigene Regeln und Praktiken entwickeln und in Kraft setzen, zum Beispiel die Moderation in sozialen Netzwerken betreffend.

Das oben skizzierte ist auch unser eigener Anspruch in Bezug auf die neue Mastodon-Instanz baudigital.social.

  • Entscheidend wird die Zusammenarbeit derer sein, die einerseits Fediverse-Dienste betreiben, andererseits derer, die sie benutzen. Die Vielzahl neuer Ideen und Entwicklungen (hier beispielhaft erwähnt: Enigmatick, ein Fediverse-Server mit End-to-end-verschlüsselter Kommunikation) kann sich dank offener Protokolle und Open-Source-Implementierung ergänzen. Grundlage dafür ist, aufmerksam zu verfolgen, wie die Dienste aufgefasst und genutzt werden und ob relevante neue Standards und Konzepte auftauchen – die ja auch von jenseits des Fediverse kommen können, wie im Fall des Einsatzes von WKD bei NOSTR, siehe die vorangegangene Folge.
  • ORCID könnte und sollte ein wichtiger Akteur für das Fediverse in der Forschungsinfrastruktur werden. Einiges ist mit dem eigenen ORCID-Profil ja de facto bereits möglich. Als nächster Schritt wäre es wünschenswert, mit einem ORCID-Profil einen Mastodon-Account verifizieren zu können, so wie wir es für VIVO-Profile vorgemacht haben. ORCID verfügt bereits über ein veritables eigenes Ökosystem.

Wie könnten Player der Forschungsinfrastruktur das Potenzial von neuen Standards wie ActivityPub besser wahrnehmen?

Wichtig ist hierbei vor allem eines: Bis sich das Potenzial neuer Webstandards entfaltet, braucht es Zeit.

  • Ein Beispiel: RSS/ATOM wurde seit 1999 entwickelt, und bot den Nährboden für die neuen Web-Formate Podcast und Weblogs, die erst Jahre später populär wurden und ihrerseits neue Entwicklungen beeinflussten. Ein weiterer Fall dieser Art ist ActivityPub, wie wir ja mittlerweile wissen.
  • Und das bedeutet nichts anderes als: Auch Forschungsinfrastruktur benötigt Zeit – Zeit, mit verschiedenen Communitys (siehe oben) Open-Source-basierte Dienste zu betreiben, Erfahrungen zu sammeln, und sie weiterzuentwickeln.
  • Das müsste in die Finanzierung exzellenter Wissenschaft eingepreist werden, denn diese beruht heute regelmäßig auch auf Open Source und offenen Webstandards.
  • Gute Ansätze zu solchen Förderinstrumenten existieren bereits, auch in Deutschland, darunter DFG VIGO sowie der vom BMBF finanzierte Prototype Fund.
  • Wir müssen weiter in diese Richtung denken, diskutieren und handeln.

Kommentieren Sie einfach hier im Blog – oder natürlich auch gerne bei Mastodon!

Was ist der TIB Themencast?

Der TIB Themencast ist ein Videoformat der TIB – Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften, das zeitlich begrenzt und in sich abgeschlossen ist. In mehreren Folgen werden aktuelle Themen und Entwicklungen behandelt, die die TIB-Expert:innen kommentieren, kritisch und konstruktiv hinterfragen und diskutieren.

Die Folgen unseres Themencasts gibt es im TIB AV-Portal und überall, wo es Podcasts gibt. Im TIB-Blog gibt es zusätzliche Informationen zu den einzelnen Folgen.

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