TIB Themencast, Folge 4: „Ich lese das Paper. Und nicht umgekehrt. Warum wir es besser machen könnten als ResearchGate.“

Willkommen bei der vierten Folge des TIB Themencasts! Im Themencast „Das Mastodon im Porzellanladen“ geht es um das Fediverse und die Wissenschaft. Warum benutzen so viele Wissenschaftler:innen Twitter und andere Social-Media-Dienste? Was ist bei dezentralen Diensten wie Mastodon anders? Wird Mastodon je Twitter voll ersetzen können – oder ist vielleicht schon diese Frage falsch gestellt? In sieben kurzen Folgen, von Januar bis April 2023, werde ich, Lambert Heller, schlaglichtartig auf diese Fragen eingehen. Hört rein und kommentiert – viel Vergnügen!

Folge 4: Ich lese das Paper. Und nicht umgekehrt. Warum wir es besser machen könnten als ResearchGate.

In dieser Folge beschäftigen wir uns mit den vielfältigen sozialen Interaktionen, die zentral sind für die Kommunikation innerhalb der Wissenschaft – Dinge wie Peer Review, Zitation, Meta-Studien, das Verfolgen von Autor:innen sowie bestimmten Themenbereichen etc.

Wir zeigen anhand von zwei Beispielen, wo Protokolle wie ActivityPub bereits produktiv eingesetzt werden, um diese Interaktionen abzubilden, um somit die Risiken von Lock-In-Geschäftsmodellen dominanter Plattform-Eigentümer, einschließlich Science Tracking, zu verringern. Am Schluss gehen wir darauf ein, warum wir auf diese Weise auch „Facebook for Scientists“-Dienste wie ResearchGate überflüssig machen könnten.

Den TIB Themencast findet ihr überall, wo es Podcasts gibt, und hier:

Hier in den Shownotes bieten wir weiterführende Informationen zu den Themen der jeweiligen Folge – chronologisch in Stichpunkten.

Peer Reviews und Zitationen können bereits heute mit dezentralen Protokollen dokumentiert werden – sie „gehören“ zur Publikation irgendwo da draußen im Web, nicht einem zentralisierten Diensteanbieter.

  • dokie.li ist ein client-seitiger Editor zum Bearbeiten, Publizieren und „entdeckbar machen“ von (Forschungs-)Publikationen. Er wurde von Sarven Capadisli 2017 entwickelt, und generalisiert unter dem Begriff Linked Research. An einem Dokument in dokie.li ist, zum Beispiel, anhand dessen öffentlicher Inbox für jedermann ersichtlich (und bei Bedarf maschinenlesbar, automatisiert aus der Ferne zu verfolgen), ob und wie auf jenes Dokument Bezug genommen worden ist. Sei es zum Beispiel durch einen Peer Review, eine Zitation, eine Meta-Studie oder ein Update. Im Fall von dokie.i geschieht dies übrigens nicht mit AcitivityPub, sondern mit Linked Data Notifications (LDN), einem verwandten Ansatz.
  • Eine zentrale Indexierung solcher Interaktionen auf einer Plattform Dritter ist auf diese Weise zwar möglich (sogar sehr gut möglich), aber eben nicht mehr zwingend erforderlich. Es gibt keinen privilegierten Zugang mehr zu dieser Art „Forschungsinformationen“, sondern die so dokumentierten Informationen sind dann vielmehr mittels offener Webprotokolle für jedermann frei zugänglich. Die Zitation „gehört“ zum Dokument, und nicht zum Beispiel einem zentralisierten Anbieter von Zitationszählung „as a service“, mitsamt daraus abgeleiteter „Wissenschaftsindikatorik“, intransparentem Science Tracking oder ähnlichem.

Klassifizierung und Beschreibung mit Hilfe kontrollierter Vokabulare lassen sich ebenfalls dezentral abbilden – aber nur mit langfristiger Investition in Offene Infrastruktur.

  • SkoHub ist ein auf „Knowledge Organization Systems“ (KOS) beruhendes System, mit dem zum Beispiel Klassifikationen und kontrollierte Vokabulare fortlaufend gepflegt und dezentral genutzt werden können. Wie und wofür diese genutzt werden, lässt sich über eine öffentliche Inbox der jeweiligen Klasse oder des jeweiligen Schlagworts verfolgen – analog zum Verfolgen der Interaktionen rund um ein Dokument bei dokie.li, siehe weiter oben. SkoHub wurde entwickelt von Adrian Pohl und seinen Kolleg:innen am hbz 2019, und seitdem kontinuierlich angeboten und weiterentwickelt.
  • Adrian Pohl betonte in einem persönlichen Gespräch vor der Aufnahme dieser Folge, dass solche Ansätze nur auf lange Sicht, eben als Infrastruktur, Sinn ergeben. Das passe nicht zur Kurzatmigkeit manches kommerziellen Geschäftsmodells, aber auch nicht unbedingt zu öffentlich geförderter Drittmittelforschung mit kurzen Projektlaufzeiten.

ResearchGate ließ jedermann eigene Forschungsergebnisse posten sowie anderen und deren Themen einfach folgen – ist aber als Bettvorleger von Springer-Nature, Wiley & Co gelandet.

  • „Green Road 2.0“ – so hatte ich anlässlich der Open Access Tage 2009 in Konstanz die Gründung von ResearchGate ein Jahr zuvor beschrieben. (Abstract und Folien zu meinem Vortrag darüber bei den OA-Tagen sowie mein vorangegangenes Blogposting zum Thema.)
  • In den ersten zehn Jahren von ResearchGate waren dessen Nutzer:innen offenbar vor allem daran interessiert, ihre Forschungsergebnisse unkompliziert öffentlich zu teilen. Pablo Markin hat 2018 gut zusammengefasst, wie und warum ResearchGate durch seine Verträge mit Springer Nature, Wiley, Thieme, Cambridge University Press und anderen wissenschaftlichen Großverlagen dieses Interesse seiner Nutzer:innen unter den Bus geworfen hat. Um den Preis, dass ResearchGate nun profitabel Geschäfte mit den Daten der Nutzer:innen machen kann (vgl. Science Tracking, das Thema unserer vorangegangenen Themencast-Folge), dürfen die genannten Verlage nun nach eigenem Ermessen deren Preprints von ResearchGate entfernen lassen. Was als Tiger gegen veraltete Geschäftsmodelle der wissenschaftlichen Verlagsindustrie gesprungen war, war zehn Jahre später als Bettvorleger dieser Verlage gelandet.
  • Die Verlage schaffen sich ein immer umfassenderes „Betriebssystem der Wissenschaft“, dessen Teilfunktionen vollständig und bequem integriert sind – vorzugsweise unter der eigenen Verlagsmarke, um das eigene Science Tracking lückenlos zu machen. Vielleicht brauchen wir die Vision eines Gegenstücks, eines dezentral angelegten, offenen Betriebssystems der Wissenschaft? (siehe auch Kapitel 3 im OECD STI Outlook 2016.) Auf dem Weg dahin wären Protokolle wie AcitivityPub ein weiteres nützliches Element.
  • Ein Trippelschrittchen, um ResearchGate und dergleichen durch ein offeneres, dezentrales System zu ersetzen: Das eigene Mastodon-Profil mit meinem institutionellen Forschenden-Profil verfizieren – entwickelt am TIB Open Science Lab 2022, möglich dank der Software und Ontologien von VIVO.

Was ist der TIB Themencast?

Der TIB Themencast ist ein Videoformat der TIB – Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften, das zeitlich begrenzt und in sich abgeschlossen ist. In mehreren Folgen werden aktuelle Themen und Entwicklungen behandelt, die die TIB-Expert:innen kommentieren, kritisch und konstruktiv hinterfragen und diskutieren.

Die Folgen unseres Themencasts gibt es im TIB AV-Portal und überall, wo es Podcasts gibt. Im TIB-Blog gibt es zusätzliche Informationen zu den einzelnen Folgen.

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Leitung Open Science Lab der TIB.
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Head of Open Science Lab at TIB.
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