Retrodigitalisierung an der TIB: Was sind eigentlich Strukturdaten?

Leichter navigieren in digitalisierten Werken? Strukturdaten machen es möglich, denn dank ihnen finden sich Nutzer:innen besser in den digitalisierten Werken zurecht. Anlässlich des Erscheinens des Aufsatzes „Strukturdatenerfassung in den Zentralen Fachbibliotheken – Nutzerbedürfnisse und Effizienz“ in der Zeitschrift „Bibliotheksdienst“ beschäftigen wir uns auch im TIB-Blog mit dem Thema Strukturdaten.

Ein altes Buch liegt auf einem Scanner.
Mit dem Scanner „Cobra“ können Bücher in einem Winkel von 110° gescannt werden. Foto: TIB

Bei der Retrodigitalisierung, also der Digitalisierung analoger Publikationen. etwa von Büchern oder Zeitschriften, ist zu klären, welche Tiefe der Strukturdatenerschließung bereitgestellt wird. Die muss sich einerseits an den Bedürfnissen der Nutzenden orientieren, andererseits ist aber auch der Ressourceneinsatz zu betrachten. Die drei Zentralen Fachbibliotheken – TIB in Hannover, ZB MED – Informationszentrum Lebenswissenschaften in Köln und ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft in Kiel – sind für sehr unterschiedliche Fächer zuständig. Ein Blick auf die Unterschiede bei der Strukturdatenerfassung in den einzelnen Einrichtungen zeigt, wie unterschiedliche Konzepte aussehen können.

Strukturdaten – was ist das?

Bei der Digitalisierung von Bibliotheksgut ist es üblich, eine sogenannte Strukturdatenerfassung durchzuführen, um das Navigieren im Digitalisat zu vereinfachen. Strukturdaten bilden also ein elektronisches Inhaltsverzeichnis: Um die Seitenangaben im Digitalisat mit denen der gedruckten Vorlage abzugleichen, wird zunächst eine sogenannte Paginierung konzipiert. Die gedruckte Vorlage kennt verschiedene Elemente des Werks wie Einband, Titelblatt, Inhaltsverzeichnis, Kapitel, Abbildungen, Glossar, Tabellenübersichten usw. Diese Strukturdatenelemente werden für die Nutzenden kenntlich gemacht. So kann im Viewer, mit dem die Digitalisate betrachtet werden können, entsprechend navigiert werden.

Grafik mit Schlagworten aus der Strukturdatenerfassung wie Titelblatt, Kapitel, Artikel und Inhaltsverzeichnis
Teile eines Werkes: Schlagworte aus der Strukturdatenerfassung // Foto: ZBW

Die TIB hat sich bei der Bearbeitung der Strukturdaten für eine den Inhalten und Nutzungsbedürfnissen angemessene Erschließungstiefe entschieden und führt dies nach strengen einheitlichen Kriterien durch. Die Erfassung der Strukturdaten macht einen Anteil von 50 Prozent der Arbeit des Scanpersonals aus. Das zeigt, wie zeitaufwändig und ressourcenintensiv die Prozesse für die Erfassung sind.

Die Retrodigitalisierung an der TIB in Hannover

An unserem TIB-Standort Rethen scannen wir Werke aus dem Altbestand der TIB, der überwiegend aus dem 19. und dem frühen 20. Jahrhundert stammt. Wir stellen die Digitalisate für den privaten und wissenschaftlichen Gebrauch online zur Verfügung, sofern sie urheberrechtsfrei sind oder wir die Genehmigung erhalten haben. Die Gründe für die Retrodigitalisierung alter Bestände sind vielfältig: Es dient der Bekanntmachung der alten Bestände und stellt sie für die wissenschaftliche Nutzung bereit. Der Zugang zu den Werken lässt sich weltweit verbessern. Dabei werden durch die Nutzung der Digitalisate die Originale geschont. Gleichzeitig sichert man den Inhalt der Werke für die Nachwelt.

2015 hat das Team Retrodigitalisierung mit der Retrodigitalisierung begonnen. Seitdem sind über 20.000 Werke digitalisiert worden. Zurzeit sind unsere Digitalisate über die Suche unseres Portals zu finden. Zukünftig wird es aber einen eigenständigen Viewer geben, in dem die Sammlungen der Digitalisate übersichtlich angezeigt werden. Außerdem wird es unter anderem in der Suchfunktion möglich sein, die durch OCR (Optical Character Recognition, optische Zeichenerkennung) gewonnenen Volltexte zu durchsuchen.

Screenshot der Strukturdatenerfassung in der Software Goobi
In der TIB erfolgt die Strukturdatenerfassung mit der Software Goobi. // Foto: TIB

Für die nicht gemeinfreien Werke wird es im Laufe des Jahres 2023 einen Terminalserver am TIB-Standort Technik/Naturwissenschaften geben, an dem vor Ort auch die digitalisierten Dokumente eingesehen werden können, die wegen der Urheberrechte noch nicht online gestellt werden dürfen.

Ein Vergleich: Wie gehen TIB, ZB MED und ZBW bei der Strukturdatenerfassung vor?

Die ZBW hat 2021 eine Umfrage unter ihren Zielgruppen mit der Fragestellung durchgeführt, in welchem Umfang Strukturdaten erstellt werden sollen. Die Befragten sollten angeben, ob zugunsten einer tiefgreifenden Strukturdatenerfassung ggf. weniger Digitalisate angeboten werden sollen oder ob die Strukturdatenerfassung lieber eingeschränkt werden sollte, um mehr Digitalisate erstellen zu können. Die Befragung der Nutzer:innen der ZBW ergab, dass ein Großteil lieber auf eine umfangreiche und tiefe Erfassung der Strukturdaten zugunsten von mehr Digitalisaten verzichten würden. Auf der anderen Seite sind Strukturdaten wichtige Arbeitsinstrumente für die Nutzung von Digitalisaten. Hier wird wertvolle intellektuelle Leistung zur optimalen Erschließung von digitalen Dokumenten erbracht. Innerhalb dieses Zwiespalts gilt es für die Bibliotheken, den optimalen Weg für sich zu finden, den Wünschen der Nutzenden entgegenzukommen, ohne die Qualität der Erschließung der Dokumente zu gefährden.

Das Team Retrodigitalisierung der TIB hat sich dazu entschlossen, die gute Qualität ihrer Strukturdaten beizubehalten, um die Dokumente weiterhin auf einem hohen Standard nutzbar zu gestalten. Gleichzeitig überarbeitet und vereinfacht das Team seine Richtlinien zur Strukturdatenerfassung. Die Erfassungstiefe der Digitalisate soll – bei einem angemessenen zeitlichen Aufwand bei der Erstellung – den Nutzenden die optimalen Möglichkeiten bieten.

Resultierend aus der Zusammenarbeit von TIB, ZB MED und ZBW entstand der Aufsatz „Strukturdatenerfassung in den Zentralen Fachbibliotheken – Nutzerbedürfnisse und Effizienz“, der die unterschiedlichen Verfahrensweisen der drei Deutschen Zentralen Fachbibliotheken dargestellt und vergleicht. Denn die Bibliotheken haben sehr unterschiedliche Fächer und Nutzergruppen und somit teilweise unterschiedliche Herangehensweisen.

Blortz, Ulrich Ch. (ZB MED); Purkert, Andreas (ZBW); Wehrhahn, Dawn (TIB); Dr. Zarnitz, Monika (ZBW) (2023): Strukturdatenerfassung in den Zentralen Fachbibliotheken – Nutzerbedürfnisse und Effizienz. In: Bibliotheksdienst, 57 (1), S. 28–43, DOI: 10.1515/bd-2023-0007

... arbeitet seit 1992 an der TIB und leitet seit Oktober 2021 das Team Retrodigitalisierung der TIB im Bereich Bestandserhaltung/Langzeitarchivierung.