Wirklich nichts zu verbergen?

Geht es um das Thema Datenschutz hört man häufig das Argument: „Ich habe doch nichts zu verbergen.“ Dieser Satz ist nicht nur falsch und naiv, sondern auch demokratiegefährdend. Warum Datenschutz für uns in der TIB wichtig ist, schauen wir uns anlässlich des Europäischen Datenschutztags einmal an.

Der Begriff Datenschutz ist eigentlich missverständlich. Denn beim Datenschutz werden gar nicht die Daten um ihrer selbst willen, sondern die Menschen geschützt, über die diese persönlichen Daten eine Aussage treffen. Durch das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 ist das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 und dem Schutz der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG entwickelt worden. Es hat seine historischen Wurzeln in Deutschland also im Grundrecht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Mit Einführung der DSGVO im Jahr 2018 wird dieses Recht auf Art. 8 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 16 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union gestützt. Auch in der Europäischen Union ist es Teil der „Freiheitsrechte“ die jedem Menschen zustehen.

Persönliche Daten, die bei uns in der TIB anfallen, sind beispielsweise die Geburtstage, Wohnorte oder Telefonnummern unserer Nutzer:innen. Daten zu erheben, die etwas über eine Person aussagen, lässt sich nicht immer vermeiden, zum Beispiel dann nicht, wenn die Person einen Bibliotheksausweis der TIB benötigt. Gesetze wie die 2018 von der EU erlassene Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) regeln explizit, wie mit den Daten umzugehen ist. So ist zum Beispiel grundsätzlich verboten, diese Daten einfach an andere weiterzugeben. Menschen sollen selbst bestimmen können, wer persönliche Informationen über sie haben darf und wer nicht.

In Diskussionen über den Datenschutz oder darüber, wie wichtig Privatsphäre ist, hört man immer wieder die Antwort: „Ich habe eh nichts zu verbergen.“ Häufig zusammen mit: „Die können ruhig alle meine Daten haben.“ Am besten fragt man in diesem Gespräch einmal nach, ob man die PIN für die Bankkarte oder das Handy haben könnte, um darin mal etwas zu stöbern. Oder warum derjenige Vorhänge an den Fenstern oder eine Toilettentür hat. In solchen Momenten wird Privatsphäre dann doch wichtig.

Die Antwort beinhaltet allerdings noch mehr, wie zum Beispiel, dass man etwas Falsches getan hat, wenn man es verbergen muss. Das ist ein Fehlschluss, denn nur, weil Kriminelle etwas im Geheimen machen, muss nicht alles, was im Verborgenen ist, auch kriminell sein. Wer möchte schon, dass der Arbeitgeber vom Arzt erfährt, dass man eine Pilzinfektion hat? Oder auf das Bankgeheimnis verzichten, damit die Bank jedem, der es wissen will, Auskunft über die finanzielle Situation geben kann? Oder die Anwältin darüber, wie die Sorgerechtsverhandlungen vor dem Familiengericht so laufen? Oder Briefe ohne Briefgeheimnis von jedem gelesen werden können? Die Aussage, man habe ja schließlich nichts zu verbergen, ist stigmatisierend für Menschen, die nichts Falsches getan haben, sondern einfach nur ihre Privatsphäre schützen wollen. Je mehr Menschen glauben, dass sie nichts zu verbergen haben, desto verdächtiger wird es dann, überhaupt Geheimnisse zu haben. Es gehört zur Freiheit des Einzelnen, nicht alles mit anderen teilen zu müssen. Wird dies auf die Meinung zu bestimmten Themen bezogen, ist es auch eine demokratiegefährdende Haltung. Denn ohne den Schutz von Geheimnissen und Privatsphäre ist die freie Meinungsbildung gefährdet – eine Meinungsbildung muss ohne Einflussnahme anderer erfolgen können. Die freie Meinungsbildung ist wiederum eine Grundvoraussetzung für freie Wahlen. Ohne Wahlgeheimnis und Wahlkabinen kann niemand sein Wahlverhalten verbergen und ist dadurch manipulierbar und erpressbar. Radikale Regierungswechsel kommen in der Geschichte häufiger vor und gesammelte Informationen über Menschen in den falschen Händen bergen ein erschreckendes Missbrauchspotential.

Aus guten Gründen haben wir also alle etwas zu verbergen und der Satz, „die können ruhig alle meine Daten haben“, um möglichst vielen Unternehmen bedenkenlos persönliche Daten anzuvertrauen, ist erschreckend naiv. Einzelne Informationen wie Geburtstag oder Hobby mögen harmlos sein, aber aus vielen dieser Daten konstruieren Firmen Profile, um unser Verhalten vorherzusagen und es zu manipulieren. Dazu gehören Internet-Firmen wie Google, Amazon, Facebook, Apple oder Microsoft (GAFAM). Nutzen wir ihre Webseiten und Dienste, erfahren sie unsere Interessen und Vorlieben. Dieses Wissen verkaufen sie für zielgerichtete Werbung an andere Unternehmen weiter. Weil sie damit viel Geld verdienen können, sammeln sie so viele Daten über uns, wie nur möglich. Je mehr sie über uns wissen, desto gezielter können sie Werbung verkaufen. Dabei bleibt es nicht: Diese Daten wurden auch für politische Einflussnahme genutzt, wie der Skandal um Cambridge Analytica und deren Einflussnahme auf den US-Wahlkampf und den Brexit gezeigt haben.

Bei Social-Media-Plattformen ist der Schutz der personenbezogenen Daten davon abhängig, wie genau der Plattformbetreiber den Datenschutz und die IT-Sicherheit nimmt. Mit einer Fehleinstellung können private Informationen aus einem Nutzerprofil, das eigentlich nur einer bestimmten Nutzergruppe zugänglich sein soll, weltweit frei für jedermann eingesehen werden. Etwas, was in einem Land gesellschaftlich akzeptiert ist, wie zum Beispiel Homosexualität, ist in anderen Ländern strafbar und kann gefährlich werden. Hinzu kommt, dass dem Datenschutz und damit der individuellen Freiheit des Einzelnen nicht in allen Ländern, in denen Social-Media-Plattformbetreiber ihre Dienste betreiben und anbieten, ein so hoher Wert beigemessen wird, wie in der Europäischen Union.

Der Schutz der persönlichen Freiheit fängt dabei im Kleinen an – auch scheinbar unbedeutende Informationen über Menschen können in Kombination mit anderen Daten einen Beitrag zu einem umfassenderen Persönlichkeitsprofil leisten. Es gilt also weniger ist mehr: Je weniger persönliche Daten erhoben oder bereitwillig gegeben werden, desto mehr sind die Persönlichkeitsrechte von Menschen geschützt.

... ist Fachreferentin für Rechtswissenschaften, stellvertretende Justiziarin und Datenschutzbeauftragte der TIB