Was Elternschaft und Quantenphysik gemeinsam haben: Gedanken zum diesjährigen Nobelpreis für Physik

Zwei arbeitende Eltern mit drei kleinen Kindern – Arbeit, Haushalt, Familie, Hobbys (der Kinder, der Eltern eher weniger): Für mich fühlte sich das vor einigen Jahren häufig wie ein (äußerst) verschränkter Zustand an, wenn mein Mann und ich unseren (Familien)Alltag sortieren mussten. Dienstreisen, kranke Kinder, … um nur die Extremzustände zu nennen.

Wikipedia bestätigt:

Verschränkte Zustände sind häufig. Ein verschränkter Zustand entsteht jedes Mal, wenn zwei Teilsysteme miteinander wechselwirken (z. B. miteinander kollidieren), und es danach verschiedene, aber aufeinander abgestimmte Möglichkeiten gibt, wie sie sich weiter verhalten (z .B., in welche Richtung sie nach dem Zusammenstoßen weiterfliegen).

Passt!

Heute ist die Wechselwirkung der Teilsysteme Eltern nicht mehr so stark – die Kinder sind größer und selbstständiger – die elterlichen Freiheitsgrade werden mehr, die Abhängigkeiten und die Kollisionen von Mensch und Materie weniger.

Nochmal Wikipedia zur Quantenverschränkung:

Die Verschränkung wird beendet, sobald man eines der Teilsysteme auf einen bestimmten seiner Zustände festlegt. Dann geht sofort auch ein anderes Teilsystem, das durch die Verschränkung mit dem ersten Teilsystem verknüpft war, in denjenigen Zustand über, der dem durch die Beobachtung festgestellten Zustand des ersten Teilsystems zugeordnet war. Der Zustand des Gesamtsystems zeigt dann keine Verschränkung mehr, denn beide Teilsysteme für sich betrachtet sind nun in einem je eigenen bestimmten Zustand.

Ja, hin und wieder und immer häufiger finden wir uns inzwischen in einem je eigenen bestimmten Zustand wieder.

©Johan Jarnestad/The Royal Swedish Academy of Sciences
©Johan Jarnestad/The Royal Swedish Academy of Sciences

Als im Oktober der Nobelpreis für Physik 2022 verkündet wurde, habe ich an die Herausforderungen dieser Zeit der verschränkten Zustände zurückgedacht.

The Nobel Prize in Physics 2022 was awarded jointly to Alain Aspect, John F. Clauser and Anton Zeilinger “for experiments with entangled photons, establishing the violation of Bell inequalities and pioneering quantum information science”

Wäre dieser Nobelpreis ein Buch, dann würde ihn das Gehirn der Fachreferentin Physik spontan in die Schubladen (= Basisklassifikation) Quantenphysik (33.23) und Quantenoptik (33.38) einsortieren. Als Schlagwörter würde er von mir Quanteninformation und Verschränkter Zustand erhalten.

Teilen werden sich Preis und Ehre drei Wissenschaftler: Alain Aspect, John F. Clauser und Anton Zeilinger. Als neugierige Forscherin, die ich auch bin, schaue ich einmal, was ich anhand der Treffer im TIB-Portal über die drei herausfinde.

Die Suche nach Alain Aspect liefert mir 127 Ergebnisse. Mit Freude stelle ich fest, dass davon 67 Treffer aus arXiv kommen, Alain Aspect also ein langjähriger arXiv-Nutzer ist.

Im AV-Portal der TIB sind vier Videos mit Alain Aspect enthalten.

Im Bestand der TIB haben wir zehn Titel. Eventuell hat Alain Aspect einen Namensvetter, einige der Treffer lassen sich eher der Biogeochemie zuordnen. ABER: Ein Titel liest sich fast wie die Begründung zum Nobelpreis: Trois tests experimentaux des inegalites de Bell par mesure de correlation de polarisation de photons, ein anderer Introduction to quantum optics : from the semi-classical approach to quantized light ist ein Lehrbuch zur Quantenoptik, das so beliebt ist, dass wir es für den Campus der Leibniz Universität Hannover (LUH) als E-Book bereitstellen.

Zu John F. Clauser finde ich 21 Treffer. arXiv ist leider nur einmal dabei. Allerdings: Die übrigen Treffer sind Zeitschriftenbeiträge, von denen einige bereits aus den 1970er Jahren stammen. Da gab es arXiv noch nicht.

Würden wir einen „Nobelpreisträger im TIB-Portal“-Preis vergeben, erhielte 2022 Anton Zeilinger diesen mit seinen 355 Einträgen. Herzlichen Glückwunsch! Ein wesentlicher Grund: Anton Zeilinger ist offenbar schon lange ein intensiver und überzeugter arXiv-Nutzer: 170 der 355 Nachweise stammen aus arXiv. Mehr als 150 Treffer sind Artikel in Zeitschriften, Konferenzbeiträge und Beiträge in Sammelwerken. Während erstere hochspezialisierte Fachartikel sind, handelt es sich bei letzteren eher um Übersichtsartikel. So klingt der Beitrag The Essence of Entanglement fast wie eine Zusammenfassung des Nobelpreises.

Überhaupt scheint sich Anton Zeilinger so sehr für seine Wissenschaft zu engagieren, dass er sie nicht nur mit Fachkolleg:innen teilen, sondern sie auch einem breiten Publikum nahe bringen möchte. Wir haben daher einige populärwissenschaftliche Bücher und Schriften von Zeilinger im Bestand der TIB.

Besonders schön finde ich hier den Titel „The sounds of science – A symphony for many instruments and voices.“ eines Beitrags von Zeilinger und einer Vielzahl anderer Kolleg:innen, selbstverständlich auch, weil dieser im LUH-Repositorium liegt.

Soweit meine bibliothekarische Forschung zum diesjährigen Nobelpreis. Für Erläuterungen zu den Forschungen von Aspect, Clausinger und Zeilinger verweise ich gerne auf die Nobel Prize Lectures in Physics am 8. Dezember um 9 Uhr, auf die Kurz– und Langversion der Informationen der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften zum wissenschaftlichen Hintergrund des Physik-Nobelpreises und natürlich auf die Inhalte im TIB-Portal.

Nachtrag 1: Ein Highlight der Nobel Prize Lectures in Physics waren für mich die Danksagungen von Alain Aspect (Minute 40:45 bis 43:15). Nicht nur, weil er auf wirklich besonders humorvolle, herzliche und bewegende Art seinen Vorbildern, Förderern, Mitarbeitern, Werkstätten („I had a lot of equipment built in the workshops of Institut d’Optique and of CEA Saclay. It was not perfectly legal, but now it is more than thirty years ago… [mit der passenden Handbewegung]“) und – last but not least – seiner Familie dankt, sondern natürlich auch, weil er explizit einem Buch seinen Dank ausspricht: „I owe a lot to the book of Claude Cohen-Tannoudji, Bernard Diu and Franck Laloe͏̈, because it is the book in which I learned quantum mechanics.“ Ein wirklicher Klassiker der Lehrbuchliteratur, der immer noch aktualisiert wird und inzwischen auch als E-Book erscheint. Eine kleine (aber schöne) Überraschung ist es für mich, dass wir auch das französische Original aus dem Jahr 1973 im Bestand haben: Sollte also jemand einen Eindruck von der Ausgabe erhalten wollen, auf die sich Alain Aspect wahrscheinlich bezieht, kann sie oder er das auch in Hannover tun.

Nachtrag 2: Die Deutsche Physikalische Gesellschaft hat jüngst das Physikkonkret Verschränkung in der Quantenwelt: „Spukhafte Fernwirkung“ veröffentlicht, in dem die fachlichen Hintergründe zum diesjährigen Nobelpreis kompakt auf einer Seite dargestellt werden.

... ist Fachreferentin für Physik und zuständig für die Nationale Kontaktstelle im Netzwerk arXiv-DH