Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit der heutigen Leibniz Universität Hannover und der Fall Paul Trommsdorff

Angeregt durch eine Masterarbeit, die sich mit der politisch motivierten Entziehung von akademischen Titel an der damaligen Technischen Hochschule Hannover (der heutigen Leibniz Universität Hannover) in der Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 befasste, begann im Jahr 2011 auch die Leibniz Universität selbst damit, ihre Vergangenheit intensiver aufzuarbeiten.

Der Senat der Universität setzte dazu eine Arbeitsgruppe ein, die aus Historikern, Juristen, Naturwissenschaftlern, dem Masterabsolventen, der die Untersuchung durch seine Arbeit in Gang gebracht hatte, sowie etwas später auch dem Leiter des Universitätsarchivs Hannover bestand. Dieses Gremium untersuchte in den Folgejahren sehr gründlich die nationalsozialistische Vergangenheit der Leibniz Universität, wobei nicht nur die Entziehung akademischer Titel, sondern auch sonstige Formen der Verfolgung und Beeinträchtigung von Hochschulangehörigen aus politischen oder rassistischen Gründen in den Blick genommen wurden. Zudem wurde ebenfalls erforscht, welche Begünstigungen – etwa Berufungen an die Hochschule oder Vergabe von Ehrentiteln – seinerzeit nicht aus rein wissenschaftlichen, sondern vor allem aus politischen Gründen erfolgten. In diesem Zusammenhang untersuchte die Arbeitsgruppe außerdem, welche damaligen Ehrungen zwar auch aus heutiger Sicht wissenschaftlich unkritisch, aber dennoch für die Leibniz Universität nicht mehr aufrechtzuerhalten sind, da die Geehrten sich der Beteiligung an nationalsozialistischen Verbrechen, etwa durch eine maßgebliche Rolle im Staatsapparat oder die Teilnahme an Zwangsarbeitsmaßnahmen, schuldig gemacht haben. Das Ergebnis dieser Arbeit war ein umfangreicher Forschungsbericht der Arbeitsgruppe, der als Buch veröffentlicht wurde und auch im Volltext im institutionellen Repositorium der Leibniz Universität eingesehen werden kann.

Im Rahmen einer groß angelegten Gedenkveranstaltung im November 2013, zu der auch Nachkommen der seinerzeit Verfolgten aus der ganzen Welt eingeladen wurden, distanzierte sich die Leibniz Universität zum einen von zu Unrecht ausgesprochenen Ehrungen und den Beteiligten an nationalsozialistischen Verbrechen. Zum anderen wurde an die an der Technischen Hochschule Verfolgten und Beeinträchtigten erinnert, indem sie in diesem feierlichen Rahmen namentlich verlesen und die damaligen Maßnahmen der Hochschule als klares Unrecht benannt wurden. Als bleibendes Zeichen des Bedauerns und der Erinnerung wurde später im Lichthof des Welfenschlosses eine Gedenktafel enthüllt, auf der die durch diese Unrechtsmaßnahmen Betroffenen einzeln aufgeführt sind.

Schon bei der Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse der Senats-Arbeitsgruppe im Jahr 2016 hatte die Leibniz Universität klargemacht, dass beim Auftauchen neuer Hinweise auf nationalsozialistische Unrechtsmaßnahmen auch noch weitere Namen von Betroffenen hinzukommen könnten. Dies ist seitdem bereits einmal erfolgt. Durch Recherchearbeiten zu einer Benutzeranfrage wurde nun noch ein weiterer Angehöriger der Technischen Hochschule Hannover bekannt, der Benachteiligungen aus rassistischen Gründen erfahren musste. Es handelt sich um den langjährigen Leiter der Bibliothek der Technischen Hochschule (der Vorläuferin der heutigen Technischen Informationsbibliothek), Dr. Paul Trommsdorff. Sein Name wurde inzwischen auch auf der Gedenktafel im Lichthof der Leibniz Universität ergänzt.

Paul Trommsdorff wurde am 19. Mai 1870 als Sohn des Apothekers und Fabrikbesitzers Dr. Hugo Trommsdorff in Erfurt geboren. Nach dem Studium in Leipzig und Göttingen, das Paul Trommsdorff 1896 mit der Promotion zum Dr. phil. abschloss, schlug er die bibliothekarische Laufbahn ein und war danach an der Universitätsbibliothek der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität (der heutigen Humboldt-Universität), der Staatsbibliothek Berlin sowie der Bibliothek der Technischen Hochschule Danzig tätig. Am 1. April 1922 wurde er neuer Leiter der Bibliothek der Technischen Hochschule Hannover. Seit dem Sommersemester 1931 hatte er zudem einen Lehrauftrag an dieser Hochschule inne und führte Lehrveranstaltungen aus dem Bereich „Technische Bibliothekswissenschaften“ durch. Am 11. Juni 1931 wurde er von der Technischen Hochschule Hannover zum Honorarprofessor ernannt. Auch nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im Januar 1933 blieb er zunächst unbehelligt und wurde mit dem regulären Erreichen der Altersgrenze im Oktober 1935 in den Ruhestand versetzt.

Quelle: Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover, Best. BCP, Foto: Max Baumann, Januar 1926.

Im Vorfeld seines Wechsels in den Ruhestand gab Paul Trommsdorff in einem Personalfragebogen am 29. Dezember 1934 bei der Frage nach seiner Konfession pflichtschuldig an, dass sein Vater aus „arischer“, seine Mutter hingegen aus einer „ursprünglich nicht-arischen Familie“ kam. Seine Mutter Fanny Trommsdorff war eine geborene Benary und entstammte einer bedeutenden jüdischen Familie. Diese ehrliche Antwort hatte für Paul Trommsdorff in der Folgezeit unangenehme Folgen: Zunächst wurde im Januar 1935 der vom Rektor der Technischen Hochschule Hannover, Prof. Dr. Horst von Sanden, am 21. Dezember 1934 gestellte Antrag, Trommsdorff als Bibliotheksleiter noch bis Oktober 1936 weiterzubeschäftigen, vom zuständigen preußischen Kultusministerium in Berlin ohne Begründung abgelehnt. Er wurde somit zum 1. Oktober 1935 mit einem Dank „für seine treuen Dienste“ in den Ruhestand versetzt, hielt aber zumindest im Wintersemester 1935/36 noch seine Vorlesungen über „Technische Literatur und technische Bibliotheken“ ab.

Als Trommsdorff hingegen im März 1938 anlässlich einer Erkrankung bei der Technischen Hochschule Hannover einen Antrag auf Gewährung einer Beihilfe stellte, wurde dieser vom neuen Rektor Hanns Simon, einem überzeugten Nationalsozialisten, „unter Berücksichtigung Ihrer persönlichen Verhältnisse und der in Bezug auf die Gewährung von Beihilfen ergangenen Bestimmungen“ nicht an das Berliner Ministerium weitergeleitet, sondern stattdessen an Trommsdorff zurückgegeben. Gleichzeitig holte Simons dazu interne Stellungnahmen über Trommsdorff bei verschiedenen Professoren ein, „vor allem mit Rücksicht darauf, daß T. Halbjude ist“.

Auch ein Antrag Paul Trommsdorffs bei der Universität Köln, ihn von der Zahlung der für seinen dort studierenden  Sohn Werner anfallenden Unterrichtsgelder zu befreien – was gemäß der „Gebührenordnung für die preußischen Universitäten vom 6.10.1937“ für „Frauen und Kinder von Dozenten anderer deutschsprachiger wissenschaftlicher Hochschulen“ möglich war – hatte keinen Erfolg. Der hannoversche Rektor Simons bescheinigte zwar im März 1938 noch, dass Paul Trommsdorff an der Technischen Hochschule Hannover als Honorarprofessor tätig war, das Kultusministerium lehnte dessen Antrag aber im April 1938 dennoch ab, da die Gebührenbefreiung auf „Mischlinge“ keine Anwendung fand. Trommsdorffs Bitte, ihm „in Anbetracht meines über 43 Jahre umfassenden Staatsdienstes“ eine Sondergenehmigung zu erteilen, wurde von Simons zwar ebenfalls noch an das Ministerium weitergeleitet, von diesem aber erneut abgelehnt. Damit verbunden war der Hinweis, dass die „Gebührenbefreiung für Dozentenkinder nicht für Mischlinge ersten und zweiten Grades gilt. Auch für den allgemeinen Gebührenerlaß kommen Mischlinge ersten und zweiten Grades nicht in Betracht.“

Auch die Technische Hochschule Hannover, insbesondere ihr Rektor Hanns Simons, wollte nun mit ihrem Honorarprofessor Paul Trommsdorff nichts mehr zu tun haben. Zwar erhielt Trommsdorff im Dezember 1938 von Simons noch ein kurzes Beileidsschreiben zum Ableben seiner Ehefrau – aber keine Einladung mehr zur Hochschulfeier der Technischen Hochschule am 28. Januar 1939. Auch zu vorherigen Feiern war Trommsdorff offensichtlich von der Hochschule schon nicht mehr eingeladen worden. Seine höfliche Nachfrage („Ich darf annehmen, daß hier nur ein Versehen vorliegt.“) und Bitte, auch weiterhin Einladungen zu Hochschulfeiern zu erhalten, veranlasste den Rektor Hanns Simons zu folgendem Aktenvermerk:

„1) T. ist Halbjude.
2) Er wird auch aus dem Prof.Verz. [also dem Professorenverzeichnis der Technischen Hochschule Hannover] gestrichen.“

In einer weiteren Aktennotiz stellte Simons kurz darauf fest: „Die Einladung an Herrn Trommsdorff ist unterblieben, weil er Nichtarier [handschriftlicher Einschub: „die Mutter des Herrn T. war Volljüdin“], Mischling 1. Grades ist. Von der Beantwortung des vorliegenden Schreibens soll einstweilen abgesehen werden. Simons“

Die Gesundheit des auf diese Weise von seiner Hochschule sozial ausgeschlossenen Trommsdorffs verschlechterte sich offenbar in der Folgezeit weiter. Etwa ein Jahr nach diesen Vorgängen verstarb er am 22. Februar 1940. Die seit Kriegsbeginn immer stärker zunehmende Eskalation der Diskriminierung und Verfolgung der Juden im Deutschen Reich und den besetzten Gebieten mitzuerleben, die schließlich zum Völkermord an den europäischen Juden führte, blieb Trommsdorff immerhin durch seinen Tod erspart.


Über das Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover

Das Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover verwahrt das archivwürdige Schriftgut der TIB und der Leibniz Universität Hannover, deren Vorgängerinstitutionen und der in ihnen aufgegangenen Einrichtungen. Ein großer Teil des Quellenmaterials für die Arbeit der Senats-Arbeitsgruppe in der Leibniz Universität Hannover stammt daher aus dem Bestand des Archivs.

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