Über die Liebe zum Handwerk und die Freude am Ausbilden

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Seit 2021 ist das Buchbinderhandwerk Immaterielles UNESCO-Kulturerbe. Auch die TIB trägt ihren Teil dazu bei, dass es das Handwerk noch gibt – sie bildet seit 1977 Buchbinder:innen aus. Im Interview spricht Ines Thiele, Buchbindermeisterin und Leiterin der Buchbinderei der TIB, über ihre Arbeit, die Liebe zum Handwerk und die Veränderungen in den letzten Jahrzehnten in ihrem Beruf.

Vor 44 Jahren haben Sie Ihre Ausbildung zur Buchbinderin begonnen, seit zwölf Jahren leiten Sie nun die Buchbinderei der TIB und bilden dort auch aus. Wie sehr haben sich der Beruf und die Aufgaben in dieser Zeit verändert?

Unsere Aufgabe, den Bestand der Bibliothek durch Neubindungen und Reparaturen zu sichern, hat sich bis heute nicht geändert. Auch die Arbeitsweisen sind die gleichen geblieben. Aber im Laufe der Jahre sind natürlich die Maschinen moderner und sicherer geworden. Da sind wir in der TIB auf dem neuesten Stand und konnten unsere Maschinen und Geräte immer den Anforderungen anpassen. Die Schneidemaschine hat ein Touch-Display; die Schneidprogramme können direkt abgerufen werden. Wir schreiben die Signaturen nicht mehr wie früher auf der Schreibmaschine: Der Barcode wird eingescannt, am Computer bearbeitet und von einem Thermotransfer-Drucker ausgedruckt.

Porträt von Ines Thiele. Sie stützt sich lächelnd auf einem Bücherstapel ab.
Ines Thiele leitet seit 12 Jahren die Buchbinderei der TIB. Foto: C. Bierwagen/TIB

Was sich sehr wohl geändert hat, sind die Materialien. Verschiedene Bezugspapiere werden heute nicht mehr hergestellt und von der ehemals großen Farbpalette gibt es nur noch drei Farben: Schwarz, Grau und Beige. Das Textpapier ist heute beschichtet, sodass die Seiten der Bücher Flüssigkeiten nicht so schnell aufnehmen – prinzipiell eine gute Eigenschaft. Aber ein Nachteil für uns: Die Seiten nehmen auch den Leim schlechter an. Wir müssen jetzt bei den meisten Büchern die Rücken aufrauen, um die Oberfläche zu vergrößern, damit der Leim besser anhaftet und die Seiten halten können. Trotz dieser Veränderungen ist der Alltag eines Handwerksbuchbinders heute immer noch vergleichbar mit dem vor 100 Jahren.

Wie sieht denn so ein typischer Arbeitstag in der Buchbinderei der TIB aus?

In der Einbandstelle werden die Bücher für uns vorbereitet und wir bekommen alle nötigen Informationen: Welche Einbandart soll es werden? Reparatur oder Neubindung? Fadenheftung oder Klebebindung? Wir sortieren die Bände täglich nach Eingangsdatum und Bindeart in unsere Regale ein. Jede der sieben Buchbinderinnen kann sich ihre Arbeit frei aus dem Regal nehmen, achtet dabei aber immer auf das älteste Datum.

Das Bild zeigt vier Werkzeuge, die Buchbinder bei ihrer Arbeit verwenden: xxxx
Werkzeuge aus dem Arbeitsalltag einer Buchbinderin: Ziselierhammer, Ahle, Schärfmesser und Falzbein. Foto: C. Bierwagen/TIB

Die Bände werden vorgerichtet, beschnitten, gelumbeckt – das ist eine Art der Klebebindung in der Buchherstellung – und über Nacht zum Trocknen weggelegt. Die Buchblöcke werden an Kopf und Fuß beschnitten, ausgemessen und dann Decken hergestellt. Nach dem Trocknen werden die Decken geprägt, gerundet, mit den Buchblöcken verbunden und angepappt. Die fertigen Bücher kommen dann über Nacht in die Stockpresse. Am nächsten Morgen werden sie von uns kontrolliert und an die Einbandstelle zurückgegeben. Alle diese Tätigkeiten können wir in unserer großen, hellen Werkstatt im Grunwaldhaus erledigen, nur zum Beschneiden der Bücher müssen wir zur Schneidemaschine in den Keller gehen.

Was fasziniert Sie besonders an der Buchbinderei? Welche Arbeiten machen Ihnen besonders Spaß, welche Herausforderungen gibt es?

Ein Buch zu binden und schön zu gestalten, sodass man es gern in die Hand nimmt, das macht mir besonders viel Spaß. Es sind ja mehr Aufgaben als nur lose Zettel zusammenzuhalten. Durch die Ausbildung komme ich in den Genuss, noch Sonderarbeiten mit den Auszubildenden durchzuführen – etwa Kästen und Buntpapier herzustellen, Leder zu verarbeiten und Vergoldungen vorzunehmen. Das kommt sonst in unserer täglichen Arbeit so nicht mehr vor.

Sie geben Ihr Wissen weiter, bilden Menschen erfolgreich zu Buchbinder:innen aus, sodass auch dank Ihnen das Kulturerbe-Handwerk nicht „ausstirbt“.

Die Ausbildung ist eine Herzensangelegenheit, es macht Freude mit den jungen Leuten zusammenzuarbeiten und sie für das Handwerk des Buchbinders zu begeistern. Die Begleitung der Auszubildenden über drei Jahre, ihnen die nötige Sicherheit für die Abschlussprüfung zu geben, ist spannend und macht uns stolz. Die Azubis sind ein fester Bestandteil des Teams. Wir sind immer Ansprechpartner, nehmen uns Zeit für die Ausbildung und jede Kollegin trägt ihren Teil dazu bei.

Ein Buch zu binden und schön zu gestalten, sodass man es gern in die Hand nimmt, das macht mir besonders viel Spaß.

Diese langjährige Erfahrung und unser sehr gutes technisches Know-how sind entscheidend für die gute Qualität der Ausbildung, die für den Erhalt unseres Handwerks unbedingt erforderlich ist. Das ist nur möglich, wenn ausreichend Menschen eine Ausbildung im Buchbinderhandwerk absolvieren, denn nur so können traditionelle Techniken und Fachwissen von erfahrenen Handwerkern weitergegeben werden.

Ausbildung an der TIB: Clara Katja Seifert (hinten) und Carla Burkard (vorne) lernen das Buchbinderhandwerk von der Pike auf. Foto: C. Bierwagen/TIB

Die Ausbildung ist in den normalen handwerklichen Betrieben durch Ausbildermangel und Auftragstermindruck immer schwerer zu leisten. Institutionen wie die TIB sollten deshalb durch sehr gute Ausbildung auch in Zukunft zur Erhaltung der Handwerkskunst des Buchbinders beitragen. Das Handwerk und das Immaterielle Kulturerbe können nur so erhalten bleiben.

Vielen Dank für das nette Gespräch!

Immaterielles UNESCO-Kulturerbe: Buchbinderhandwerk

Das Buchbinderhandwerk, ein Beruf mit langer Tradition, ist seit 2021 Immaterielles UNESCO-Kulturerbe. Es vereint heute handwerkliches Geschick, traditionelle Techniken und moderne Geräte, aber die Geschichte des Buchbinderhandwerks ist so alt wie das Buch selbst. Jedes Buch – genau genommen sind es in einem Einband geschützte Seiten – braucht Gestaltung, beispielsweise in Form eines Ledereinbands mit Prägung und Goldschnitt. Diese Aufgaben übernehmen Buchbinder:innen: Sie stellen Bücher her und sie retten Bücher. Mit ihrer Handwerkskunst helfen sie, alte Bücher zu erhalten, das Wissen aus vorherigen Jahrhunderten zu konservieren. In der TIB binden die Buchbinder:innen häufig benutzte Lehrbücher neu ein, fertigen Kassetten für wertvolle alte Bücher und binden Zeitschriftenjahrgänge in einem Band – auch das zählt zu ihren Aufgaben.

Video-Tipp: Ein Arbeitstag in der Buchbinderei