„Ein Mensch mit vielen widersprüchlichen Gesichtern und mehreren Leben“ – zum 100. Geburtstag Peter Brückners

Am 13. Mai 2022 wäre der in Dresden geborene kritische Sozialpsychologe Peter Brückner, der von 1967 bis 1982 an der Universität Hannover lehrte, 100 Jahre alt geworden. Er starb am 10. April 1982 in Nizza. Aus Anlass beider Jahrestage soll hier an Peter Brückner erinnert werden.

Sein Werk gibt über seine innerwissenschaftliche Bedeutung hinaus wesentliche Aufschlüsse über die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, die er als Sozialpsychologe analysiert und kommentiert hat. Alle veröffentlichten Werke Peter Brückners befinden sich im Bestand der TIB Sozialwissenschaften. Im Peter-Brückner-Archiv befindet sich sein Nachlass, der unter anderem aus unveröffentlichten Manuskripten, Typoskripten, Fragmenten, Notizen, Reden und Rundfunksendungen sowie weiteren Dokumenten aus den Jahren 1953 bis 1982 besteht. Das Archiv dokumentiert die Person und die wissenschaftliche Arbeit Peter Brückners. Das Archiv gewährt darüber hinaus einen Einblick in die Wissenschafts- und Institutsgeschichte der Psychologie in Hannover. Es bietet zugleich Quellenmaterial aus Presse und Rundfunk über das politische Klima der 1970er- und beginnenden 1980er-Jahre in der Bundesrepublik Deutschland. <span class="su-quote-cite"><a href="https://www.tib.eu/de/recherchieren-entdecken/sondersammlungen/peter-brueckner-archiv" target="_blank">(Quelle: Peter-Brückner-Archiv)</a></span>

Axel-R. Oestmann (1947-2019), der als wissenschaftlicher Mitarbeiter Peter Brückners Schriften nach dessen Tod im Wagenbach-Verlag herausgegeben hatte, kann als eigentlicher Gründer des Archivs angesehen werden. Nach 1982 hatte Oestmann sowohl in Peter Brückners Dienstzimmer im Psychologischen Institut als auch im privaten Umfeld die relevanten schriftlichen Materialien gesichert. In seiner 1992 beim Symposion aus Anlass des 70. Geburtstags von Peter Brücker gehaltenen Rede zur Eröffnung des Peter-Brückner-Archivs erläuterte er: „Seit 1988 befindet sich der Nachlass bei der Niedersächsischen Landesbibliothek. Daß man ihn mit Recht als Archiv bezeichnen kann ist allerdings vor allem Theo Becker zu verdanken. Theo Becker hat den Bestand in jahrelanger Arbeit ausgebaut und um Materialien und Erschließungsmöglichkeiten ergänzt, die weit über das hinausgehen, was sich ursprünglich in Peter Brückners Nachlaß befand.“

Das bis ins letzte bearbeitete Chaos seiner Produktion, das auch in dem Auszug aus einer Notiz, die wir für das Plakat verwendet haben, sichtbar wird, war nur ihm selbst – und wie ich weiß: das oft auch nur kurze Zeit – durchschaubar. Der brücknersche Arbeitsprozeß, schreibendes und umschreibendes Reden, durchzogen von meditativen Momenten, die in der grafischen Gestalt vieler seiner Manu-Typu-Skripte sichtbar werden (…). <span class="su-quote-cite">(Axel-R. Oestmann, 1992)</span>
“Ich bin, wenn ich gehe”
“Ich bin, wenn ich gehe”. Plakat zum Symposium anlässlich des 70. Geburtstags von Peter Brückner Quelle: Peter Brückner-Archiv.

Das Peter-Brückner-Archiv ist seit 2003 in der Zuständigkeit der heutigen TIB. Der Gesamtbestand des Archivs ist erschlossen und in der elektronischen Datenbank recherchierbar.

Daneben gibt es seit 2016 auch einen ganz persönlichen Zugang zur Person Peter Brückners durch den Film Aus dem Abseits (Trailer), den dessen Sohn, der Filmemacher Simon Brückner, über seinen Vater gedreht hat. Peter Brückner, der im Film als „Kulturweltbürger“,  „Ikone der linken Protestbewegung“ und als „Vaterfigur der APO“ bezeichnet wird, starb, als sein Sohn Simon vier Jahre alt war.

Die TIB freut sich sehr, den Dokumentarfilm „Aus dem Abseits“ deutschlandweit ein Jahr lang im TIB AV-Portal für nicht-kommerzielle Bildung und Forschung als Stream via Online Media Player sowie als Download kostenfrei anzubieten. Hier geht’s zum Film

Aus lizenzrechtlichen Gründen ist eine Anmeldung bzw. Registrierung im AV-Portal erforderlich. Ein Portal-Account ermöglicht Ihnen zudem die individuelle Zusammenstellung favorisierter Videos in Playlisten sowie die Option eigene wissenschaftliche Filme zur Veröffentlichung im AV-Portal hochzuladen. Eine öffentliche Vorführung des Dokumentarfilms oder eine anderweitige Nutzung ist in diesem Rahmen ausgeschlossen. (Hierfür wenden Sie sich bitte an den zuständigen Verleih missingFILMs.)

Der langjährige Betreuer des Peter-Brückner-Archivs in der TIB, Winfried Kullmann, deutete 2016 die Vielschichtigkeit Brückners in seinem Blog-Beitrag Aus dem Abseits: Peter-Brückner Archiv der TIB unterstützt Film-Projekt an: „Vieles ist der Psychologe Peter Brückner Zeit seines Lebens gewesen: ‚Halbjude‛ und Ausreißer, Untergrundaktivist und Wehrmachtssoldat, Kommunist mit Parteiverbot, Vater und Familienflüchtling, Demokrat und Verfassungsfeind, erster verbeamteter Hochschullehrer mit Berufsverbot.“

Peter Brückner wurde beschuldigt, der Roten Armee Fraktion (RAF) nahe zu stehen und wurde deswegen erstmals 1972 für ein Jahr vom Dienst suspendiert und 1977 erneut im Rahmen der sogenannten Mescalero-Affäre.

Nachdem 1981 alle Disziplinarmaßnahmen gegen ihn aufgehoben worden waren, starb Peter Brückner 1982 in Nizza an Herzversagen. Heinrich Bleicher erinnerte am 10. April 2022 auf der Homepage der Hans-Mayer-Gesellschaft an Peter Brückner unter der Überschrift „Das unbefangen Menschliche“. Peter Brückners letzte Ruhestätte befindet sich auf dem Cimetère de l’Est, Nice, Grab-Nr. 134526, Case 39.

Grab von Peter Brückner
Grab von Peter Brückner (Fotos: Heinrich Bleicher)

Beitragsbild: aus dem Pressematerial zum Film „Aus dem Abseits“ von missingFILMs

... leitet den Bereich Medien- und Lizenzmanagement an der TIB und ist zuständig für die Betreuung des Gewerkschaftsarchivs, des Peter-Brückner-Archivs und der sozialwissenschaftlichen Nachlässe und Sammlungen am Standort TIB Sozialwissenschaften