„Ein Mensch mit vielen widersprüchlichen Gesichtern und mehreren Leben“ – zum 100. Geburtstag Peter Brückners
Am 13. Mai 2022 wäre der in Dresden geborene kritische Sozialpsychologe Peter Brückner, der von 1967 bis 1982 an der Universität Hannover lehrte, 100 Jahre alt geworden. Er starb am 10. April 1982 in Nizza. Aus Anlass beider Jahrestage soll hier an Peter Brückner erinnert werden.
Axel-R. Oestmann (1947-2019), der als wissenschaftlicher Mitarbeiter Peter Brückners Schriften nach dessen Tod im Wagenbach-Verlag herausgegeben hatte, kann als eigentlicher Gründer des Archivs angesehen werden. Nach 1982 hatte Oestmann sowohl in Peter Brückners Dienstzimmer im Psychologischen Institut als auch im privaten Umfeld die relevanten schriftlichen Materialien gesichert. In seiner 1992 beim Symposion aus Anlass des 70. Geburtstags von Peter Brücker gehaltenen Rede zur Eröffnung des Peter-Brückner-Archivs erläuterte er: „Seit 1988 befindet sich der Nachlass bei der Niedersächsischen Landesbibliothek. Daß man ihn mit Recht als Archiv bezeichnen kann ist allerdings vor allem Theo Becker zu verdanken. Theo Becker hat den Bestand in jahrelanger Arbeit ausgebaut und um Materialien und Erschließungsmöglichkeiten ergänzt, die weit über das hinausgehen, was sich ursprünglich in Peter Brückners Nachlaß befand.“
Das Peter-Brückner-Archiv ist seit 2003 in der Zuständigkeit der heutigen TIB. Der Gesamtbestand des Archivs ist erschlossen und in der elektronischen Datenbank recherchierbar.
Daneben gibt es seit 2016 auch einen ganz persönlichen Zugang zur Person Peter Brückners durch den Film Aus dem Abseits (Trailer), den dessen Sohn, der Filmemacher Simon Brückner, über seinen Vater gedreht hat. Peter Brückner, der im Film als „Kulturweltbürger“, „Ikone der linken Protestbewegung“ und als „Vaterfigur der APO“ bezeichnet wird, starb, als sein Sohn Simon vier Jahre alt war.
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Der langjährige Betreuer des Peter-Brückner-Archivs in der TIB, Winfried Kullmann, deutete 2016 die Vielschichtigkeit Brückners in seinem Blog-Beitrag Aus dem Abseits: Peter-Brückner Archiv der TIB unterstützt Film-Projekt an: „Vieles ist der Psychologe Peter Brückner Zeit seines Lebens gewesen: ‚Halbjude‛ und Ausreißer, Untergrundaktivist und Wehrmachtssoldat, Kommunist mit Parteiverbot, Vater und Familienflüchtling, Demokrat und Verfassungsfeind, erster verbeamteter Hochschullehrer mit Berufsverbot.“
Peter Brückner wurde beschuldigt, der Roten Armee Fraktion (RAF) nahe zu stehen und wurde deswegen erstmals 1972 für ein Jahr vom Dienst suspendiert und 1977 erneut im Rahmen der sogenannten Mescalero-Affäre.
Nachdem 1981 alle Disziplinarmaßnahmen gegen ihn aufgehoben worden waren, starb Peter Brückner 1982 in Nizza an Herzversagen. Heinrich Bleicher erinnerte am 10. April 2022 auf der Homepage der Hans-Mayer-Gesellschaft an Peter Brückner unter der Überschrift „Das unbefangen Menschliche“. Peter Brückners letzte Ruhestätte befindet sich auf dem Cimetère de l’Est, Nice, Grab-Nr. 134526, Case 39.

Beitragsbild: aus dem Pressematerial zum Film „Aus dem Abseits“ von missingFILMs
... leitet den Bereich Medien- und Lizenzmanagement an der TIB und ist zuständig für die Betreuung des Gewerkschaftsarchivs, des Peter-Brückner-Archivs und der sozialwissenschaftlichen Nachlässe und Sammlungen am Standort TIB Sozialwissenschaften
Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang aufmerksam machen auf eine Veranstaltung mit dem Titel:
“Zum hundertsten Geburtstag – Ein Abend für Peter Brückner”
Ein Abend mit Film, Vortragsdokument und Gesprächsrunde zur Erinnerung an den hannoverschen Hochschullehrer am Donnerstag, den 30.06.2022, um 19:30, im Kino im Sprengel,
Klaus-Müller-Kilian-Weg 2, 30167 Hannover.
Info der Veranstalter*innen:
Am 13. Mai 2022 wäre der Sozialpsychologe Peter Brückner 100 Jahre alt geworden. Von 1967 bis zu seinem frühen Tod mit 59 Jahren im April 1982 hatte er den Lehrstuhl für Psychologie an der Universität Hannover inne. Der ausgeprägt politische Charakter seiner wissenschaftlichen Arbeit führte Peter Brückner an die Seite der 68er-Bewegung. Die gesamten 1970er Jahre stand er unter dem Verdacht, die RAF und damit den Terrorismus unterstützt zu haben, unter Beschuss der zunächst sozialdemokratischen, später CDU-geführten Landesregierung. Zweimal für einen langen Zeitraum von der Hochschule suspendiert und mit weiteren Disziplinarmaßnahmen belegt, kämpfte Peter Brückner erfolgreich gegen sein Berufsverbot bis zu seiner vollständigen Rehabilitierung. Einer großen Solidarisierung von linken Student*innen und Teilen der linken Hochschullehrer stand eine Hetzkampagne vor allem von Seiten der Springer-Presse gegenüber.
Wir wollen an den Wissenschaftler und engagierten Zeitgenossen erinnern:
Mit dem Dokumentarfilm seines Sohnes Simon Brückner AUS DEM ABSEITS, mit Auszügen aus einem bislang unbekannten Tondokument eines Vortrags “Journalismus aus der Sicht des Opfers” aus dem Jahr 1973, und mit einer Gesprächsrunde von Freund*innen und Mitarbeitern Peter Brückners.
Zu Gast sind Karin Beindorff, Köln, Alfred Krovoza, Mainz, Theo Becker, Hannover und Gerd Weiberg, Berlin.
Der Film “Aus dem Abseits”:
Simon Brückner, D, 2015, 112 Min., DCP
Mit Barbara Sichtermann, Axel Oestmann, Theo Becker, Manfred Lauermann, Hannah Brückner, Wolfgang Brückner, Alfred Krovoza, Horst Nowak u.a.
Der Regisseur Simon Brückner war vier Jahre alt, als sein Vater 1982 starb. Erinnerungen hat er kaum an ihn, den großen Unbequemen der westdeutschen Professorenschaft der siebziger Jahre.
So macht sich Simon Brückner auf die Suche nach einem bleibenden Bild. Das eigene Bild beruhe ja zur Hälfte auch immer auf der eigenen Vorstellung, sagt ihm einmal ein Freund seines Vaters, Axel Oestmann. Man kann in diesem Film sehen, wie es sich zusammensetzt, wenn es auch, zum Glück, nicht ganz schlüssig wird. Simon Brückner sucht nach den Spuren einer politisch geprägten Biografie, nach Brüchen und Widersprüchen. Es geht also um das Private und das Politische, ganz im Sinne jener Jahre. (nach epd film)
Obwohl ein Großteil des Films in Hannover gedreht wurde und auch niedersächsische Filmförderung dafür beantragt wurde, musste dieser vorzügliche Film ganz wundersamerweise ohne Mittel der zuständigen Medienförderung auskommen. Was ihm nicht geschadet hat.
Eine Gemeinschaftsveranstaltung des Kino im Sprengel und des Vereins zur Förderung der politischen Kultur Hannovers.
Eintritt frei – Spenden erwünscht
Es wäre anläßlich des 100. Geburtstags von Peter Brückner eine Gelegenheit für die bundesdeutschen Massenmedien gewesen, selbstkritisch auf die Hetzkampagnen zurückzublicken, die in den 1970er Jahren von den Medien und der Politik gegen den Sozialpsychologen geführt worden sind. Doch so wie man damals über Jahre hinweg diffamierende Artikel herausbrachte, um das Ansehen des Hochschullehrers zu beschädigen, so hat man heute es vorgezogen, so zu tun, als habe es Peter Brückner nie gegeben.
Seine Bücher, darunter vor allem ›Freiheit, Gleichheit, Sicherheit. Von den Widersprüchen des Wohlstands‹ (1965; 2. Aufl. 1973) und ›Versuch, uns und anderen die Bundesrepublik zu erklären‹ (1978) sind Grundlagenwerke, die dem besseren Verständnis der deutschen Nachkriegszeit dienen.
Dr. Rainer Marwedel, Hannover