Pi Day 2022 – Eine mathematische Pi-jama-Party

2022 beginnt das Wetter und die geopolitische Harmonie betreffend ausbaufähig: Erst machte sich die Sonne lange im Norden rar, dafür gaben sich Stürme die Klinke in die Hand und tanzten wild auf der Beaufort-Skala. Außerdem herrscht Krieg, und wir bangen um und mit Verwandten, Bekannten und Freund*innen in der Ukraine, aber auch in Russland – beide Länder teilen übrigens eine traditionsreiche, prächtige Mathematikkultur.

Also machen es sich die Physikerin Anna-Lena Lorenz und die Mathematikerin Mila Runnwerth bei einer π-jamaparty zum diesjährigen Pi Day einfach gemütlich.
Wir gönnen uns, na klar, Pie, spielen Bach und Schach, steigen dann auf die Sofasportarten Handarbeit und Netflix um. Dazu laden wir alle ein, die ebenfalls Braingasms von der Mathematik bekommen. Los geht’s.

π mal Daumen

Zuerst backen wir, Pi(e). Denn heute feiern alle mathematisch-naturwissenschaftlich Interessierten nicht nur den Pi-Day, sondern auch einen ganz besonderen Geburtstag. Niemand geringeres als Albert Einstein, Begründer der Relativitätstheorie, Nobelpreisträger und engagierter Antifaschist, würde heute 143 Jahre alt.

Also, raus die Backschüssel, schnell den Ofen auf 170°C vorgeheizt und los. Als erstes schlägt Mila 180g Butter mit 150g Zucker, einem Päckchen Vanillezucker und ein wenig Salz schaumig, dann gibt sie vier Eier dazu. Währenddessen mischt Anna-Lena 110g Mehl, ebenso viel Speisestärke und einen Teelöffel Backpulver. Während Mila weiterrührt, streicht Anna-Lena die Mehlmischung durch ein Sieb in den Teig hinein. Wir füllen die Masse in unsere Kuchenform um und begegnen dabei bereits zum ersten Mal der Zahl Pi, denn wie sonst könnten wir das Volumen unserer Schüssel berechnen? Während der Kuchen 45min im Ofen backt und die Küche langsam mit einem wundervoll süßen Duft erfüllt, lesen wir ein wenig mehr über Einstein. Wusstet ihr beispielsweise, dass Einstein den Nobelpreis gar nicht für seine Arbeiten zur Relativitätstheorie erhalten hat, sondern für die Entdeckung des photoelektrischen Effekts? Damals galt die Relativitätstheorie noch als zu umstritten, heute ist sie Teil eines jeden Physikstudiums. Doch Albert Einstein interessierte sich nicht nur für die Physik, sondern war auch politisch engagiert. So setzte er sich beispielsweise für Menschenrechte und den Frieden ein, zum Beispiel für internationale Rüstungskontrolle. Ein Thema, das heute so aktuell erscheint wie damals.

Mitten in unserem Gespräch werden wir von der Eieruhr unterbrochen. Unser Kuchen ist fertig und nachdem wir ihn mit Puderzucker und Blüten dekoriert haben, landet er direkt auf dem Teller.

Foto: Anna-Lena Lorenz

Wohltemperiertes Duett

Nachdem wir das Gemüt nun mit Kuchen warm eingepackt haben, frönen wir der Musik, Schwester der Mathematik unter den Strukturwissenschaften. Wir nehmen uns das Lieblingsstück vieler Mathematiker*innen vor: Bachs Wohltemperiertes Klavier, Präludium und Fuge Nummer 16. Symmetrie, Kombinatorik, gefällige Verhältnisse bzw. schelmische Brüche damit; sie lassen sich alle veranschaulichen. Mustererkennung macht hier richtig viel Spaß.

Anna-Lena behält den Überblick am Klavier, während Mila das tut, was Kontrabassist*innen am besten können: Grundton auf der Eins und hin und wieder die Dominante verschlafen. Die Tastenvirtuosin, ganz Naturwissenschaftlerin, staunt über Bachs Gespür für die Naturgesetze in der Musik. Die Saitenfundamentalistin hat noch keinen Frieden damit gefunden und stänkert herum, dass es nur kulturelle Gewöhnung sei. 

Wir wollen es genauer wissen. Doch selbst nachdem wir das Buch Let’s Calculate Bach 3 konsultiert haben, sind wir nicht schlauer, ob Bach ein gewiefter Freizeitmathematiker war oder ob er einfach ein Ohr für natürliche Wohlklänge hatte. Wir sind uns einig, dass die Grenze zwischen Religion und Wissenschaft bei diesem Komponisten fließend ist.

Noch ein bisschen Pie?

DIY-Geometrie 

Jetzt machen wir es uns auf dem Sofa gemütlich und häkeln. In der Mathematik gibt es tatsächlich seit Jahren Geeks, die sich mit Handarbeit austoben und auf Konferenzen Strickzirkel abhalten. Die lettisch-US-amerikanische Mathematikerin Daina Taimina veröffentlichte bereits 2009 Crocheting Adventures with Hyperbolic Planes. Als 2014 Maryam Mirzakhani als erste Frau mit der Fields-Medaille geehrt wurde, versuchten wir, ihre Arbeit anhand gehäkelter hyperbolischer Flächen zu veranschaulichen. Mittlerweile ist daraus sogar ein Kunstwerk entstanden.  

Die beiden Künstlerinnen Margaret und Christine Wertheim haben sogar eine Häkelanleitung (PDF) veröffentlicht für mathematisch interessierte Handarbeitende (oder andersherum).

Photo of orange crochet hyperbolic plane by Margaret Wertheim licensed under the Creative Commons Attribution-ShareAlike 2.5 License.

Wir beide sind eher Strickliesel. So richtig regelmäßig sehen unsere Maschen nicht aus, doch gehen die Schlampigkeiten im Gekräusel der negativen Krümmung unter. 

Zufrieden betrachten wir unsere hübschen Minikorallen und essen noch ein Stück Pie.

Chess, Drugs & Rock’n’Roll

Auf Netflix schauen wir The Queen’s Gambit, eine intelligente, einfühlsame Serie mit gewaltiger Bildsprache und eine Reflexion darüber, warum unter Mathematiker*innen Schach oft nicht nur ein Hobby, sondern eine Besessenheit ist. Die Miniserie portätiert das Schicksal des fiktiven, tragischen Schachwunderkindes Elizabeth ‘Beth’ Harmon. 

Wir begleiten die Protagonistin nicht nur durch Schachpartien, sondern auch durch ein traumatisiertes Leben, in dem sich ihre Mutter, eine psychisch kranke Mathematikerin (Klischee, ick hör dir trapsen!) umgebracht hat, ihr erster Schwarm sich als homosexuell herausstellt und sie ihre Adoptivmutter nach dem ersten jemals verlorenen Spiel tot im Hotelzimmer vorfindet. Die Protagonistin ist so einsam wie genial, dabei von sich selbst überwältigt, sodass sie in Tabletten- und Alkoholsucht hineintaumelt. 

Nach Jahren im Waisenhaus mit nur einem einzigen Kleid blüht Beth zu einer modebewussten Frau heran. Als solche wird sie erst ernst genommen, nachdem sie ihre fast ausschließlich männlichen Gegner nicht nur besiegt, sondern dies auch in ungewöhnlich aggressiver Manier tut. Auf eine sensible und kluge Art kokettiert die Serie mit Stereotypen, die im Setting der 1960er wie unter dem Brennglas hervortreten.

Und natürlich die Duelle: Mit Hilfe von Schachweltmeister Magnus Carlsen versuchen wir auf YouTube die Spiele am Brett nachzuvollziehen – danach gibt es keine Zweifel mehr, dass Schach eine Sportart ist. Viele Partien sind tatsächlichen Begegnungen von Großmeistern nachempfunden und mit einem eigenen Twist weiterentwickelt. Der elegante Habitus der Spielenden ist eine Hommage, zum Beispiel der gedankenverlorene Blick an die Decke, bekannt von Großmeister Alexander Ivanov. Das große Finalspiel basiert auf einer Partie von 1993 zwischen Patrick Wolff und Vassily Ivanchuk. Unter der fachlichen Begleitung Garry Kasparovs wird Schach hier nicht als kriegerische Metapher dargestellt, sondern als intellektuelle Ästhetik. Dieser Geist zieht sich durch die ganze Serie. Bei einem Interview schildert Beth ihr Verhältnis zu dem Spiel und meint dabei so viel mehr: 

It’s an entire world of just 64 squares. I feel safe in it. I can control it, I can dominate it. And it’s predictable. So if I get hurt, I only have myself to blame.

An dieser Stelle können wir den Bogen zur Mathematik schlagen. Schach lässt sich nicht nur als kombinatorische Problemstellung der Mathematik verstehen, sondern sinnbildlich für die klare Ästhetik eines in Axiomen eingehegten Denkens, welches nicht mit Ambivalenzen oder irrationalen Unwägbarkeiten vernebelt ist. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Dichte an Bundesligaschachspieler*inne*n nirgends so groß ist, wie in der Mathematik, gefolgt von der Physik.

„Chess Set“ by Plan of the Brachial Plexus is marked with CC BY 2.0.

Wir verlieren uns in Diskussionen über Schach, Feminismus, Geschlechterklischees, Sozialkompetenz von Mathematiker*innen und Wunderkindern allgemein.

Es ist nun kurz vor Mitternacht. Der Pie ist alle.

Erknobelte Glückshormone

Haben wir heute eigentlich schon generdlet? Die meisten sind der Wordle-Sucht bereits verfallen. Wir beide bevorzugen das Logik-Pendant Nerdle (https://nerdlegame.com/), bei dem es Gleichungen herauszufinden gilt. Anders als Wordle ist der Rateanteil niedriger, dafür der Kombinationsspaß größer. Anna-Lena braucht vier Versuche, löst das Rätsel dafür aber in drei Minuten. Mila schafft es schon in drei Versuchen, schummelt aber mit dem Taschenrechner und braucht sage und schreibe zwölf Minuten. Derweil ist Anna-Lena eingeschlafen und kuschelt sich in ihre gestrickte Häkelkoralle. Was für ein schöner Pie Day! 

Und das Allerschönste: Wir müssen uns nicht ein Jahr gedulden bis zum nächsten Mathe-Mega-Event, denn die Verleihung der Fields-Medaille findet heuer am 6. Juli statt. Wir sind natürlich virtuell dabei.

Koordinatorin für Community Building und Training für den ORKG und NFDI4DataScience / Community Building and Training Coordinator for ORKG and NFDI4DataScience.