TIB, MIT und D2O

Da hat mich doch kürzlich mitten im bibliothekarischen Alltag meine Vergangenheit als Physiko-Chemikerin eingeholt, als ich mich mit den Modalitäten der finanziellen Unterstützung eines neuen Open-Access-Modells der MIT Press befasste, das den schönen Namen Direct to Open D2O trägt. D2O, D₂O, da war doch noch etwas, ach ja das Schwere Wasser oder auch Deuteriumdioxid, lang ist’s her…

Um es vorauszuschicken, MIT D2O – und damit auch dieser Blog-Beitrag – hat inhaltlich nichts mit D₂O zu tun, ob meine Assoziation von den Macherinnen gewollt ist, wage ich zu bezweifeln.

Direct to Open stützt sich auf Zahlungen von Bibliotheken, die es der MIT Press ermöglichen, Teile ihres Angebotes im Open Access für jedermann weltweit zugänglich bereitzustellen. Bibliotheken zahlen also nicht mehr für das Produkt Buch oder Bücherpaket bzw. für die Zugriffslizenz, sondern für die Open-Access-Bereitstellung desselbigen im Sinne einer Dienstleistung. Ein Modell, das prototypisch bereits von arXiv und SCOAP³ vorgelebt wird. Die Details des D2O-Modells, z.B. zu den Grundzügen oder den Konditionen finden sich auf der D2O-Homepage der MIT Press. Kurz gesagt:

By participating in Direct to Open, libraries have an opportunity to shift from buying digital monographs from the MIT Press once for a single collection to funding them “once for the world.”

Dabei ist der MIT Press das Freerider- und Henne-und-Ei-Problem durchaus bewusst: Wer ist bereit, freiwillig für ein Produkt zu zahlen, das im Idealfall, wenn sich genügend Andere beteiligen, für alle frei zur Verfügung gestellt wird? Um auf das benötigte Beteiligungsvolumen für die Finanzierung der Kosten der D2O-Open-Access-Titel durch zahlende Bibliotheken zu kommen, werden Einrichtungen deshalb mit zusätzlichen Benefits zur Teilnahme gelockt: Zugesagt wird eine 20%ige Ermäßigung auf Titel, die 2022 in der sogenannten Trade Collection erscheinen, d.h. alle anderen Titel, die nicht Teil von D2O sind. Wer sich finanziell beteiligt, erhält außerdem für Zugriff auf lizenzpflichtige Backfile-Titel, also auf Titel, die vor 2022 erschienen sind. Last, but not least: Bei mangelndem Zuspruch zum D2O-Modell werden die geplanten Titel nicht Open Access gestellt, die Einrichtung muss ihren zugesagten Anteil nicht zahlen, behält aber trotzdem dem Zugriff auf die Backfiles. Mut muss belohnt werden, schließlich ist anfangs nicht klar, ob genügend teilnehmende Einrichtungen zusammen kommen, wobei wir wieder beim Freerider-Problem wären. (Es sieht übrigens gut aus mit der Beteiligung!)

Für alle, die noch mehr wissen wollen: Die MIT Press hat unlängst ein White Paper zu ihrem Open Monograph Model: Direct to Open veröffentlicht. Ein bemerkenswertes Paper, das Hintergründe und Motivation sowie das Finanzierungsmodell offenlegt. Es fasst dabei nicht nur aktuelle Entwicklungen auf dem Markt für (Open-Access-)Monographien im Zeitalter der Digitalisierung zusammen, ich halte es auch für eine Blaupause für zukünftige ähnliche Initiativen. Absolute Leseempfehlung!

Im letzten Jahr wurde ich von KollegInnen gefragt, was ich von dem Angebot hielte. Zum Portfolio der MIT-Press fiel mir aus der Perspektive des Fachreferates Physik erst einmal „klein aber fein“ ein: Die Physik-Titel der MIT-Press befassen sich eher mit Themen, die über die reine Physik hinaus gehen und Physik in Beziehung zu anderen Gebieten sehen. „Randständig“ wäre hier also der passende Begriff, wäre er nicht so negativ konnotiert. In diesem Fall ist die Randständigkeit ein echter Gewinn und Qualitätsmerkmal, da es genügend Verlage gibt, die die „reine“ Physik zum Thema ihrer Publikationen machen.

Die weitere Recherche in der Bibliothek ergab, dass die MIT Press gemessen an jährlich bestellten Bänden insbesondere für die Fächer der TIB als Deutsche Zentrale Fachbibliothek gar nicht so klein ist, wie von mir angenommen. Was ein Perspektivwechsel so bringt …

Die letzte zu klärende Frage betraf das Profil der geplanten Open-Access-Titel. Bei manchen Verlagen hat man ja das Gefühl, dass in Open Access ein schickes Finanzierungsmodell für ansonsten schwer zu vermittelnde Titel gesucht wird. Nach Durchsicht der Titelliste hatte ich bei MIT D2O nicht diesen Eindruck.

Wir haben uns also für eine Beteiligung an der STEAM-Collection von D2O entschieden: Im Vergleich zu Modellen anderer Anbieter haben uns bei D2O die Qualität der Produkte und Dienstleistungen der MIT Press, das ergänzende Angebot des Zugriffs auf die lizenzpflichtigen Backfile-Titel und Rabatte auf neue Titel außerhalb des D2O-Portfolios sowie das Open-Acces-Modell mit Umlagefinanzierung zu einem sehr fairen Preis einfach überzeugt, ganz zu schweigen von der vorbildlichen Transparenz des Modells.

Jetzt sind die ersten Vorboten dieser Beteiligung zu sehen: Die Titel der Backlist sind eingespielt und lassen sich im TIB-Portal mit recallSign:OLR-MPD-BACKLIST finden und (überwiegend im Campus-Netz) abrufen. 11 Titel sind bereits jetzt im Open Access frei verfügbar, alles – wie ich finde – interessante Titel. Ich freue mich auf die Neuzugänge.

... ist Fachreferentin für Physik und zuständig für die Nationale Kontaktstelle im Netzwerk arXiv-DH