Das Coronavirus und die Bedeutung einer offenen Wissenschaft – Teil 2

Im Februar 2020 habe ich hier im Blog über die Bedeutung einer offenen Wissenschaft bei der Bekämpfung von SARS-CoV-2 geschrieben. Das Virus war damals noch unter seinem vorläufigen Namen 2019-nCoV bekannt und die Pandemie war noch eine Epidemie, die vorwiegend in Ostasien herrschte. Nur wenig später hat Covid-19 auch Europa erreicht, unzählige Todesopfer gefordert und alle Lebensbereiche, darunter auch Forschung und Lehre, betroffen. Es hat sich deutlich gezeigt, dass in dieser Situation Open Science nicht nur für die Bekämpfung des Virus, sondern auch für alle anderen Wissenschaftsgebiete äußerst wichtig ist.

Open Access

Einen Monat nach Erscheinen des damaligen Beitrags kam der erste Lockdown, Universitäten und Bibliotheken wurden geschlossen, Lehre und Forschung konnten nur noch online stattfinden. Mit dem Schließen der Bibliotheken war auch der Zugang zu wissenschaftlicher Literatur eingeschränkt. Gut, wenn es Literatur online gab, noch besser, wenn sie frei zugänglich war. Viele Verlage haben in dieser Situation die Zugriffsbeschränkungen auf Zeitschriften und Datenbanken gelockert, allerdings leider nur selten Open Access im eigentlichen Sinn. Oftmals waren die Angebote nur für Hochschulangehörige und über VPN zugänglich, sie waren nicht (zum Beispiel für die Online-Lehre) nachnutzbar und sie waren zeitlich beschränkt. Inzwischen sind viele Angebote wieder hinter den früheren Bezahlschranken verschwunden. Die Pandemie mit der anfangs oft improvisierten Online-Lehre an Schulen und Universitäten hat auch gezeigt, wie wichtig offene, also frei zugängliche und nachnutzbare Bildungsmaterialien (Open Educational Resoucres) sind.

Preprints

Für die Forschung zu SARS-CoV-2 und zu Covid-19 hat sich der schnelle und offene Austausch von Forschungsergebnissen als unerlässlich erwiesen. Waren Preprints in den Lebenswissenschaften zwar schon einige Jahre verbreitet, haben sie mit der Pandemie einen enormen Aufschwung erfahren. Natürlich gab es auch Kritik an dieser Praxis, und in der Tat wurden auch unausgereifte bis unhaltbare Studien als Preprints veröffentlicht. Problematisch war das weniger für die Fachcommunity als für die Öffentlichkeit, wenn solche Ergebnisse von den Medien ohne Einordnung und ohne Hinweis darauf, dass es sich um vorläufige Resultate handelt, verbreitet wurden.

Anzahl von Covid-19-Fällen und Todesfällen (A) und Anzahl von Zeitschriftenartikeln und Preprints zu Covid-19 (B) zwischen 1. Januar und 1. November 2020. Die senkrechten Linien markieren die Tage, an denen die WHO Covid-19 zu einer gesundheitlichen Notlage internationaler Tragweite (i) bzw. einer Pandemie (ii) erklärt hat. (N. Fraser, L. Brierley, G. Dey, et al. 2021, PLoS Biology 19(4): e3000959, https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3000959, CC BY 4.0)

Open Peer Review

Preprints sorgen aber nicht nur für die schnelle und frei zugängliche Verbreitung von neuen Erkenntnissen, sie bieten der Community auch die Möglichkeit, den Autor:innen noch vor der endgültigen Veröffentlichung Feedback zu geben, Fehler zu finden und Verbesserungsvorschläge zu machen. Das kann informell erfolgen oder durch ein formalisiertes Verfahren. Während bei einer Zeitschrift eingereichte Manuskripte in der Regel von zwei Expert:innen anonym und unter Ausschluss der Öffentlichkeit begutachtet werden, bietet Open Peer Review die Chance, den Prozess transparenter und durch das Crowdsourcing möglicherweise gründlicher zu gestalten. Ein prominentes Fallbeispiel ist die Studie von Christian Drosten und seinem Team zur Viruslast bei Kindern, die zunächst nur als Preprint auf der Website der Charité veröffentlicht und nicht bei einer Zeitschrift eingereicht wurde. Die Studie sorgte für einigen Wirbel, sie wurde von verschiedenen Seiten kritisiert und wies tatsächlich etliche Schwächen auf. Das große Interesse an der Studie führte ohne formalen Rahmen zu mindestens sechs detaillierten Reviews, die auf unterschiedlichen Plattformen veröffentlicht wurden. Drosten und sein Team haben die Argumente der Gutachter:innen bei der Überarbeitung ihres Manuskripts berücksichtigt, das inzwischen in Science veröffentlicht wurde.

Open Data

Für die Bekämpfung des Virus, die Beobachtung seiner Verbreitung und die Evaluierung der Schutzmaßnahmen sind gute und vollständige Daten essenziell. Durch den Vergleich oder die Kombination von Daten aus unterschiedlichen Quellen lassen sich oft neue Erkenntnisse gewinnen. Mit der Pandemie hat auch die offene Verbreitung von Daten zugenommen, wie sie beispielsweise im Open Data Portal der EU nachgewiesen sind.

Fazit

Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig Open Science in all seinen Facetten (Open Access, Open Data, Open Peer Review, Open Educational Resources…) sowohl für die Bekämpfung des Virus als auch für den wissenschaftlichen Alltag ist. Es bleibt zu hoffen, dass nach dem Ende der Pandemie nicht wieder „business as usual“ einkehrt, sondern die neuen, offenen Wege, wie Forschung durchgeführt und kommuniziert wird, beibehalten und weiter ausgebaut werden.

Zur weiteren Anregung und Information sind beispielsweise die Aufzeichnungen des Workshops „Doing science in times of crisis: Science studies perspectives on COVID-19 (2nd edition)“, welche im TIB AV-Portal zu finden sind, empfehlenswert. Darunter insbesondere:

Homolak, Jan (2020): Preliminary analysis of COVID-19 academic information patterns: a call for open science in the times of closed borders, Doing science in times of crisis: Science studies perspectives on COVID-19 (2nd edition). https://doi.org/10.5446/50502

Außerdem sehr sehenswert ist die im Rahmen der Open Science Conference 2021 durchgeführte Panel discussion on „Open Science in a Time of Global Crises“:

Tochtermann, Klaus; Masuzzo, Paola; Opialla, Tobias; Persic, Ana; Polka, Jessica (2021): Panel discussion on „Open Science in a Time of Global Crises“, Open Science Conference 2021: 17-19 February 2021. https://doi.org/10.5446/53440

... arbeitet im Bereich Publikationsdienste der TIB und ist insbesondere für Beratung und Schulungen zum Thema Open Access zuständig.