Mehr Kollaboration auf Grundlage offener Daten und Methoden: #FundingOpen

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Ein Beitrag von Ina Blümel, Christian Hauschke und Lambert Heller

Es lohnt sich, wenn Forschungsförderung das Zusammenarbeiten mit Dritten anregt, ohne dass die Beteiligten oder ihre Rollen bereits vorab Teil eines festen Plans sind. Die Erfahrungen, die dabei gesammelt werden, sind einzigartig – und sie sind unverzichtbar, wenn wir mit der Verbreitung von Open-Data- und Open-Science-Praktiken vorankommen wollen. Das soll in diesem Beitrag hergeleitet werden aus unseren eigenen Erfahrungen – Erfahrungen, die wir im Open Science Lab in den letzten Jahren in zahlreichen Drittmittelprojekten gesammelt haben.

Wie und warum sollte man versuchen, Drittmittel zur Finanzierung eigener Forschungsideen aufzutreiben? – Es gibt die traditionelle Vorstellung, derzufolge sich anhand von (Miss)-Erfolg bei der Drittmitteleinwerbung, analog zum Erfolg beim Publizieren in renommierten Journals, die “Exzellenz” der jeweiligen Forschung messe lasse. Uns begegnen immer wieder Meinungen zum Thema Drittmittel, die sich positiv oder kritisch gegenüber dieser etablierten Vorstellung positionieren. [1]

Die Fördergeber würden die Diskussion hingegen am liebsten in eine andere Richtung drehen: Statt sich weiter an der traditionellen, mittlerweile oft und begründet bezweifelten Vorstellung abzuarbeiten, wollen sie heute ihre Förderprogramme z.B. daran gemessen wissen, wie sie zur nachhaltigen Entwicklung beitragen [2] – mittelbar etwa, weil die Art der Förderung dazu anrege Forschungsprozess oder Forschungsergebnisse mit der digitalen Öffentlichkeit breit zu teilen (Open Science), oder über den gesamten Forschungsprozess hinweg Partizipation zu erlauben (Citizen Science). 

Und da fühlen wir uns direkt angesprochen. Wir wollen hier eine Beobachtung teilen, die wir in diversen geförderten informationswissenschaftlichen Forschungs-, Entwicklungs- und Partizipationsprojekten des Open Science Lab (OSL) an der TIB gewonnen haben. 

Die Drittmittelprojekte des 17-köpfigen Open Science Labs (OSL) um Lambert Heller, Ina Blümel und Christian Hauschke reichen von NFDI4Culture über das von einer Risikokapital-Agentur der Europäischen Kommission geförderte ConDIDI bis hin zu mehreren von Bundesministerien finanzierten Projekten wie TrenDTF. Mitarbeiter:innen des OSL sind für die DFG und andere Fördergeber auch als Gutachter:innen aktiv. Daneben hat das OSL auch Erfahrungen mit anderen Finanzierungsformen, nicht zuletzt durch zahlreiche nationale und internationale Auftragsprojekte im Themenbereich Offene Forschungsinformationen

Wir beobachten eine Qualität von Förderprogrammen die derzeit (nach unserem Wissensstand) kaum systematisch betrachtet wird. Manche Förderungen erlauben es, oder regen sogar dazu an, zusammen mit Dritten zu arbeiten – mit der Besonderheit, dass zu Förderbeginn noch nicht feststehen muss, wer das ist, oder welche Rollen dabei übernommen werden. Nennen wir es, unter Zuhilfenahme wohlklingender Buzzwords: Agile Projektkollaboration auf Grundlage öffentlich geteilter Daten und Methoden. 

Im Kontext unserer beiden Themenschwerpunkte, Open Research Information und Open Cultural Heritage, besonders relevant: dies können Kooperationen sein, die darauf beruhen, dass die neuen Kooperationspartner einen Schritt nach draußen wagen, z.B. Digitalisate erstmals der Öffentlichkeit zugänglich machen, oder eigenes Wissen in die Form offener digitaler Wissensressourcen zu bringen.

  1. Coding da Vinci ist ein Beispiel für eine Projektförderung mit solchen Effekten. In unserer niedersächsischen Durchführung 2020 haben 37 niedersächsische Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen – wie beispielsweise Museen – im Rahmen unseres Kulturdaten-Hackathons den Schritt nach draußen gemacht. Für viele von ihnen war es die erste Open-Data-Erfahrung überhaupt – und für alle war es eine anregende, Vertrauen stiftende Erfahrung der Zusammenarbeit mit Kreativen und Entwickler:innen. Zudem fiel für die Kultureinrichtungen auch die Schwelle zum Einwerben eigener Drittmittel weg. Allein schon diese Hürde kann beachtlich sein, gerade weil das (an sich banale, zumindest jedoch erlernbare) Handwerk des Drittmittelerwerbs doch von einigen z.T. verkomplizierenden Einschätzungen und Meinung behaftet ist, siehe oben.
  2. Bei einer vom Bundesgesundheitsministerium geförderten Kooperation des Open Science Lab mit der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen 2019 kam eine offene Methode zum Einsatz, die im OSL bereits über viele Jahre hinweg in vielen Buchprojekten praktiziert und verfeinert worden war: Ein “Book Sprint”. Mit der Akademie sowie einem Netzwerk von Expert:innen wurden nun erstmals im Rahmen eines “Marathons” gleich eine ganze Reihe von Lehrbüchern erstellt. Wir beobachteten dabei einen Transfer, der alle Beteiligten gleichermaßen überraschte. Bereits nach drei Iterationen der Sprints hatte die Akademie die Methode erlernt und konnte sie selbstständig durchführen. (Vgl. Lambert Hellers Aussage im OER-Podcast mit Dr. Ute Teichert, ab Minute 22 ) Das führte aber nicht zum “Überflüssigmachen” des Open Science Lab, sondern inspirierte, ganz im Gegenteil, gemeinsame Pläne für bessere Infrastrukturen und neue Anwendungsfälle der offenen Methode Book Sprint.  

Beim Diskutieren über Offenheit (ohne dass entsprechende eigene Erfahrungen gemacht wurden) begegnen uns immer wieder vage Befürchtungen über Defizite: 

  • Kann eine Kooperation wertvoll sein, wenn sie “nur” auf Daten oder Methoden beruht, die ohnehin jedermann frei zugänglich sind? 
  • Gibt es überhaupt Profis, die sich zuverlässig mit solchen offenen Daten und Methoden beschäftigen? 
  • Können Kontrollverlust und Unwägbarkeiten, die mit der Freigabe vormals “eigenen” Wissens, eigener Daten oder Methoden einhergehen, überhaupt durch andere mögliche Vorteile kompensiert werden? 

Mit der Kollaboration auf Basis frei zugänglicher Daten und Methoden werden regelmäßig eigene Erfahrungen gemacht, anhand derer sich solche Befürchtungen wie von selbst erledigt haben. Hier zeigt sich für uns immer wieder: typische Vorbehalte lassen sich zwar grundsätzlich auch argumentativ angehen, z.B. indem man anhand von konkreten Fakten und Daten über einschlägige Erfahrungen Dritter spricht. Ergänzend kann das immer sinnvoll sein. Das Reden über Schwimmtechnik bleibt aber, um es einmal bildlich zu fassen, weit hinter den Schritt ins (Nichtschwimmer-)Becken zurück, und es zeigt, sich, dass das eigentliche Schwimmenlernen draußen, in offenen Gewässern, stattfindet.

Wir würden aber noch einen Schritt weiter gehen und das strikte Durchtakten von Projekten mit minutiös geplanten Deliverables etc. hinterfragen. Denn durch den Wegfall vorab gemachter Planungen 

  • passen neue Ideen, entsprechend aktuell gegebener Umständen, besser in ein Projekt hinein,
  • entsteht auf der sozialen Ebene ebenfalls eine wünschenswerte Dynamik: Während Drittmittelanträge und andere prinzipbedingt lange vorab geplante Projekte “von oben” kommen, eröffnet die oft lockere, beschränkte Kooperation, eine stärkere Partizipation “von unten”. Kooperationen können quasi zu Graswurzelprojekten werden.
  • Weiterhin ist die stärkere Öffnung für potenzielle Projektkollaborateure möglich, die normalerweise keine Forschungsanträge stellen, von kleineren Einrichtungen bis hin zu Citizen Science. 
  • Alle oben genannten Punkte, das leichtere Einbringen neuer Ideen, wie die stärkere Partizipation neuer Akteure im Projekt, begünstigen sich wechselseitig.

Wir erhoffen uns von Projektförderern mehr Anreize in dieser Richtung. Statt Geförderte ein Projektziel alleine verfolgen zu lassen, sollten diese dazu angeregt werden, einen Teil ihres Projektbudgets in offene, nicht vorab fixierte Kollaborationen zu stecken – und durch rechtzeitiges und nachhaltiges Öffnen, sowohl von Daten als auch der eigenen Methoden und Pläne, systematisch zum Entstehen solcher Kollaborationen beizutragen.

Wir fragen uns:

  • Welche Anwendungsszenarien mit offenen Daten und offenen Methoden sollten gefördert werden, um das agile Kollaborieren und übernehmen neuer Rollen und Verantwortung zu unterstützen?
  • Welche Rahmenbedingungen oder Anreize können dabei helfen? 
  • Welche Studien benötigen wir, um besser zu verstehen, wie Organisationen und Einzelne neue offene Fähigkeiten und Rollen erlernen und übernehmen? 

Bitte diskutiert diese Fragen mit uns persönlich oder bei Twitter: https://twitter.com/OSLHannover und #FundingOpen.


Fußnoten:

[1] Binswanger M. (2014) Excellence by Nonsense: The Competition for Publications in Modern Science. In: Bartling S., Friesike S. (eds) Opening Science. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-319-00026-8_3
[2] Mayer, K. and Schuch, K. (2019): Fostering the Sustainable Development Goals in Horizon 2020. Report for the Austrian Federal Ministry of Education, Science and Research. Vienna, February 2019.
https://doi.org/10.22163/fteval.2019.416

Die Autor:innen

Ina Blümel
Stellvertretende Leitung Open Science Lab und HsH-Professur für Vernetzte Daten in der Informationswissenschaft

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Christian Hauschke
Leitung Lab Open Research Information im Open Science Lab

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