„Mostly done in the dark“ – über die unsichtbare Arbeit in der digitalen Langzeitarchivierung

Digitale Langzeitarchivierung findet meist im Verborgenen statt. Wie Rettungsschwimmer:innen in einem Meer von Bits und Bytes stellen wir sicher, dass sich alle über Wasser halten. Wir ergreifen Vorsichtsmaßnahmen, wir retten falls notwendig, wir erheben den mahnenden Finger bei ungeeigneter Ausrüstung.

 

Illistration von Micky Lindlar
Micky Lindlar // Illustration: TIB/Jonas Hauss

 

Unser Job ist es, sichere Umgebungen für Daten zu schaffen und aufrechtzuerhalten – Umgebungen, in denen Daten leben, um von anderen genutzt zu werden. Die Digital Preservation Awards sind eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen diese Arbeit aus dem Verborgenen ins Rampenlicht geholt wird, um wahrgenommen und anerkannt zu werden. Anerkennung von Mitstreitenden ist die höchste Form von Anerkennung, und ich fühle mich sehr geehrt, den DPC Fellowship Award zu erhalten.

Ich wurde gebeten, meine Hoffnungen in Bezug auf die digitale Langzeitarchivierung zu teilen. Hier sind also drei hoffungsvolle Überlegungen zum Thema „Digits for good“.

Drei hoffnungsvolle Betrachtungen zum Thema „Digits for good“ – ein Text von Micky Lindlar

Für mich bedeutet „Digits for good“ auch „Digits für das Allgemeinwohl, für alle“. Es gibt viele Möglichkeiten, wie wir als Gemeinschaft dazu beitragen können – auch jenseits der Dekolonialisierungsarbeit, die derzeit von (internationalen) Archiven und Bibliotheken bereits geleistet wird. Wie offen und zugänglich sind wir als Community – auf globaler, nationaler, institutioneller und persönlicher Ebene? Unternehmen wir genug, um diejenigen zu erreichen, die nicht Teil unserer Community sind – und existieren Schranken, die die Teilhabe verhindern? Wie können wir kleine, häufig ehrenamtlich geführte Community-Archive unterstützen? Stehen unsere Standards und Prozesse auch einer breiteren Community zur  Verfügung und sind sie verständlich genug? Was sind sozio-kulturelle Auswirkungen unserer technologischen Entscheidungen, zum Beispiel bezüglich Dateiformaten, und welche Rolle spielen Faktoren wie universelle Zugänglichkeit? Die Tatsache, dass unsere Community diese Fragen diskutiert, unter anderem in Initiativen wie der „OPF/DDHN Diversity & Inclusion Working Group“, ist sowohl ein Zeichen von Reife als auch ein Test unserer Stärke und gemeinsamer Werte. Ich hoffe auf eine Zukunft der digitalen Langzeitarchivierung mit einer größeren Vielfalt an Stimmen, mit neuen Erkenntnissen und angemessenen Teilnahmemöglichkeiten an Konferenzen und Netzwerken für alle.

So viel zur Community, doch wie steht es um die technologische und organisatorische Seite? „Digits for good“ – also das Bewahren von Daten für die Ewigkeit – erfordert gute Praxis. Aber wann ist „gut“ denn „gut genug“ und wer entscheidet darüber? Zwar existieren Standardprozesse und -richtlinien, aber die Realität zwingt, uns – oftmals unbewusst – Kompromisse einzugehen. Wir streiten über proprietäre Dateiformate, aber speichern die Bits dann ggf. auf einem Speichermedium wie dem LTO-Band, das weltweit nur von ein paar Anbietern produziert wird, die sich zudem eine Zeit lang einen Rechtsstreit lieferten.

Die Praxis der digitalen Langzeitarchivierung benötigt als Grundlage ein solides Verständnis – sowohl von Informationsmanagement als auch von Informationstechnologie. Aber wie können wir sicherstellen, dass beide Teile gleichermaßen in ihrer ganzen Tiefe und Breite verstanden werden? Hier existiert paradoxerweise für den technischen Teil unserer Arbeit ein Informationsmanagementproblem. Es existiert so viel Wissen über Speichertechnologien, über Dateiformate und Automatisierungsprozesse in unserer Community – aber vieles davon lebt nur in internen Wikis, in den Gehirnen von Expert:innen oder gar auf Frage- und Antwort-Plattformen wie Qanda.Digipres.org oder Stackoverflow. Ich hoffe, dass wir einen systematischeren Weg finden können, um die organisatorische und die technologische Seite der digitalen Langzeitarchivierung zusammenzubringen.

Schließlich ist es doch so: Etwas „für die Ewigkeit/das Gute“ zu schaffen, erfordert eine Betrachtung dessen, was bisher getan wurde und wie dies gelaufen ist. Vor einem Jahrzehnt gehörten wir entweder dem Lager der Migrations-Verfechter:innen oder dem Team der Emulations-Anhänger:innen an – aber heute sind wir uns einig, dass beides praktikable Strategien sind, die sich gegenseitig ergänzen. Ich hoffe, dass wir in zehn Jahren genauso über das Verhältnis zwischen dem Lager Forschungsdatenmanagement und dem Team digitale Langzeitarchivierung denken. Die beiden Communities können so viel voneinander lernen und haben die Möglichkeit, gemeinsam Workflows zu erarbeiten, die die Anforderungen der Datenerproduzent:innen, -bewahrer:innen und –konsument:innen gleichermaßen berücksichtigen – dennoch haben wir noch einen langen Weg vor uns, um uns gegenseitig zu verstehen und wirklich Hand in Hand arbeiten.

Am Ende ist „Digits for good“ ein spannendes Versprechen. Da mich der DPC Fellowship Award quasi „für die Ewigkeit“ an die DPC und die digitale Langzeitarchivierung bindet, gebe ich mein Versprechen, dass ich zur Erfüllung der von mir geäußerten Hoffnungen beitragen werde, wann immer ich kann.

Micky Lindlar von der TIB erhielt am World Digital Preservation Day – am 5. November 2020 – die DPC Fellowship, die höchste Auszeichnung der Digital Preservation Coalition (DPC). Die DPC, die sich für den Erhalt digitaler Ressourcen einsetzt, vergibt diese Auszeichnung alle zwei Jahre als Anerkennung für einen bedeutenden und herausragenden Beitrag zur Sicherung des digitalen Erbes. Anlässlich dieser Auszeichnung für Lindlars Engagement in  diesem Bereich entstand dieser Text über die – oft unsichtbare – Arbeit der Langzeitarchivierungs-Community. Er basiert auf Micky Lindlars Text „Hopes and dreams of the 2020 DPC Fellow“.