Ist Open Access in den Künsten anders?

Bericht vom Vernetzungstreffen für die Künste und alle Interessierten im Post-Konferenz-Programm der Open-Access-Tage 2019

ein Beitrag von Christine Niehoff

Als ehemalige bildende Künstlerin, die nach dem MA Lis-Studium an der HU ihre erste Stelle im Bereich Open Access hatte, war ich sehr neugierig auf die Veranstaltung „Ist Open Access in den Künsten anders? Vernetzungstreffen für die Künste und alle Interessierten“, die im Post-Konferenz-Programm der Open-Access-Tage 2019 stattfand. Geladen hatten die Open Access-Beauftragte der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin, Anika Wilde, und Friederike Kramer, die an der Universität der Künste für Open Access zuständig ist.

Der Ausgangspunkt für diese Veranstaltung war der Wunsch nach Erfahrungsaustausch und weiterer Vernetzung, da die Bedingungen für Open Access und das Einstellen von Werken in ein Repositorium im Bereich der Künste besonderen Bedingungen unterliegt.

Was sind die Besonderheiten im künstlerischen Umfeld?

Kleine Bibliotheken

Die ca. 80 Kunst-, Musik- oder Schauspielhochschulen in Deutschland haben in der Regel sehr kleine Bibliotheken. Die Frage ist, wie sinnvoll es sein kann, der großen Zahl der existierenden Repositorien weitere hinzuzufügen, unter Umständen jeweils nur mit einigen Dokumenten? Die Universität der Künste (UdK) in Berlin als größte Kunsthochschule Europas kann sicher ein eigenes Repositorium stemmen. Für andere liegt die Chance vielleicht eher in Kooperationen, wie sie schon in Berlin von der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, der Hochschule für Musik Hanns Eisler und der Kunsthochschule Weißensee mit einem gemeinsamen OPUS-Server geplant ist. Auch ein zentrales, fachliches Repositorium wäre bei entsprechender Vernetzung u.U. denkbar, vielleicht als Partner-Portal oder in einer Form von Kooperation mit ART-Dok, dem Open-Access-Repositorium für die Kunst- und Bildwissenschaften. Allerdings wurden in der Runde große Hürden für ein solches disziplinäres Repositorium gesehen.

Was ist Forschung im Kunstkontext?

Wenn die Definition künstlerischer Forschung schon für Kunstschaffende und das künstlerische Umfeld eine letztendlich unmöglich zu lösende Herausforderung ist, so stellt diese Frage Repositorienbetreiber*innen vor eine noch unmöglichere Aufgabe. Was ist überhaupt künstlerische Forschung und wie kann sie in einem wissenschaftlichen Repositorium abgebildet und dargestellt werden? Der erste Teil der Frage muss unbeantwortet bleiben, die Abbildung künstlerischer Forschung in Repositorien zumindest wird sich in der Praxis irgendwann zeigen, spätestens dann, wenn die Pflicht, Open Access zu veröffentlichen, auch für Forschende an künstlerischen Hochschulen gilt.

Qualitätskontrolle

Die Frage nach der Qualitätskontrolle kam auch in diesem Workshop auf. Wer entscheidet, was veröffentlicht wird? Künstlerische Hochschulen haben hier eigentlich einen großen Vorteil. Alle Angehörigen sind in der Regel durch mehr oder weniger gründliche Aufnahmeprüfungen gegangen, so dass ein gewisses Level an Qualität vorausgesetzt werden sollte und dieser Punkt im speziellen Kunstkontext nachrangig behandelt werden könnte. Doch auch hier scheinen Professor*innen besorgt zu sein, ihre eigenen Forschungsergebnisse in einem Umfeld zu veröffentlichen, das sie nicht für ausreichend professionell halten. In Gesprächen von Repositorienbetreibenden mit Professor*innen kam auf jeden Fall der Wunsch nach Gremien auf. Eine Möglichkeit besteht darin, die jeweiligen Fakultäten zu bitten, intern Richtlinien zu erstellen. Da sich die Materialien so vielfältig und divers sind, sollten diese aber auf jeden Fall in jeder Hochschule und in jedem Fachbereich einzeln getroffen werden.

Kleine Verlage

Gerade im künstlerischen Umfeld gibt es unzählige kleine Verlage, die nur mit Hilfe von Subskriptionsgebühren überleben und für die Open Access daher keine Möglichkeit zu sein scheint. Oft spielen sie eine wichtige Rolle in ihrem jeweiligen Bereich und ihre Existenz sollte auf keinen Fall gefährdet werden. Wäre es eine Möglichkeit, diesen Verlagen gangbare Wege aufzuzeigen? Es gibt bereits kleine Verlage, die hier neue Wege gegangen sind. Norwegen hat ebenfalls interessante Ideen in die Tat umgesetzt, Schrifttum für alle öffentlich zugänglich zu machen. Diese Vorreiter näher zu betrachten, wäre sicher von Interesse.

Uneinheitliche Materialien

Je nach künstlerischer Disziplin fallen zudem äußerst uneinheitliche Materialien an. Foto- oder Videodokumentationen von bildender Kunst stellen Repositorien und Kunstschaffende vor ganz andere Fragen als Kompositionen, Schauspieldarbietungen oder Architekturzeichnungen. Wie können Choreographie, Puppenspielkunst oder die Aufzeichnungen von Dirigent*innen abgebildet werden? Zudem ist die Software von Repositorien nicht notwendigerweise für die Bedürfnisse von Kunst ausgelegt. Ein Einwand in der Gruppe war zum Beispiel, dass über OPUS kein Streaming möglich ist. Streaming ist auf absehbare Zeit aber nicht vorgesehen, was die Frage nach der Attraktivität von Repositorien für Kunstschaffende im Bereich Bewegtbild stellt. In Österreich gibt es alternative Web-Applikationen wie „Portfolio/Showroom“, die einen interessanten Ansatz auch für deutsche Hochschulen darstellen könnten.[1]

Rechte, ökonomische Fragen und Verbreitung

Anders als in den traditionellen Wissenschaften, in denen die Wissenschaftler*innen nicht primär mit ihren Veröffentlichungen Geld verdienen, sind Kunstschaffende für ihren Lebensunterhalt auf den Verkauf ihrer Werke angewiesen und daher gerade in jungen Jahren (Absolvent*innen) oft unwillig, ihre Arbeiten oder u.U. auch Dokumentationen ihrer Arbeiten frei zugänglich ins Netz zu stellen. Malerei und Skulptur können dabei noch vergleichsweise problemlos in Abbildungen gezeigt werden, die Verbreitung des Originals wird wenig bis nicht beeinträchtigt. Lediglich für kommerziell erfolgreiche Katalogproduktionen könnte eine Konkurenzsituation entstehen. Doch schon bei Fotografien und Videoarbeiten wird es heikel, da diese in der Regel zwar meistens in kleinerer Auflösung, aber im Originalmedium gezeigt werden. Ob eine Veröffentlichung auf einem Repositorium für die meisten Kunstschaffenden wirklich Einnahmen schmälert, wage ich aus eigener Erfahrung zu bezweifeln, nicht von der Hand zu weisen ist aber die besondere Situation der Kunstschaffenden diesbezüglich.

Besonders komplex ist im Kunstkontext auch die Frage nach den Rechten an einem Werk. Bei der Inszenierung eines Theaterstückes sind unzählige Rechteinhaber mit ganz unterschiedlichen Rechten involviert, was die Veröffentlichung eines solchen Werkes äußerst kompliziert und schwierig macht. Aus diesem Grund werden an der Hochschule für Schauspiel Ernst Busch vor allem Trailer hochgeladen.

Anders als in den traditionellen Wissenschaften sind Kunstschaffende bisweilen wenig vertraut mit dem wissenschaftlichen Publizieren. Hier muss ein ganz besonderer Fokus auf das Schaffen von Vertrauen gelegt werden. Gleichwohl gibt es auch im künstlerischen Bereich Förderbedingungen, die Open Access verlangen, und in Zukunft eher eine größere als kleinere Rolle spielen.

Für die Repositoriumsbetreiber*innen war es zudem großes Bedürfnis zu wissen, welche freien Lizenzen für die verschiedenen Nicht-Text-Werke geeignet sind (Stichpunkt Sampling im Musikbereich), um adäquat beraten zu können. Da die rechtliche Situation komplexer ist als in den traditionellen Wissenschaften, ist ein solides Wissen essentiell, um die Kunstschaffenden von den Vorteilen von Open Access überzeugen zu können. Über die Lizenzfrage hinaus gab es viele offene Fragen zu den Verwertungsgesellschaften und ihrer Rolle im künstlerischen Umfeld (VG Bild und VG Wort). Ein Workshop zu Rechtsfragen stand daher ganz oben auf der Wunschliste der Verantwortlichen.

OPUS als Alternative zur eigenen Website?

Es gab Erfahrungen in der Gruppe, dass Kunstschaffende aus dem Musikbereich an sie herangetreten seine, die keine eigene Website erstellen oder betreiben konnten und aus diesem Grund Interesse an OPUS hatten. Das kann ich aus meiner Erfahrung im Bereich der bildenden Kunst eher nicht bestätigen. Websites sind heutzutage sehr einfach zu erstellen und sehr kostengünstig/umsonst zu betreiben. Ich kenne keine einzige Künstler*in ohne eigene Website. Plattformen wie Youtube oder Vimeo bieten einen hohen Bekanntheitsgrad, einfachen Zugang und eine große Reichweite, aber nicht die Sicherheit eines Repositoriums. Was schwerer wiegt, muss sich zeigen. Künstlerische Videos werden z.B. oft auf Vimeo veröffentlicht. Hier können interessanterweise auch CC-Lizenzen greifen, was aber wohl nur wenigen bewusst ist, mir war es das zumindest nicht. Eine gute Beratung zu CC-Lizenzen könnte hier tatsächlich auch über OPUS hinaus auf Interesse stoßen.

Der Hauptmotivator für das Einstellen von Arbeiten auf OPUS sehe ich persönlich – genau wie in anderen Wissenschaftsbereichen – in den Förderbedingungen der großen Förderer, die eine Veröffentlichung im Open Access zwingend verlangen. Diese Zielgruppe der Geförderten gilt es, von den Vorzügen von OPUS gegenüber der eigenen Website oder anderer Wege zu überzeugen. Absolvent*innen oder Gruppen (Gruppenarbeiten) wären eine weitere mögliche Zielgruppe. An der UdK gibt es z.B. mit Frau Pof. Dr. Dörte Schmidt eine Professorin, die sich sehr für Open Access interessiert und einsetzt. Solche Multiplikatoren zu gewinnen, ist ein unschätzbarer Gewinn.

Es gibt aber noch eine andere Gruppe, die aus Überzeugung Interesse an OPUS haben könnte: die Künstlerinnen und Künstler, die selbst ihre Arbeit als forschende künstlerische Arbeit sehen und diese gerne in einen wissenschaftlichen Kontext setzen würden. Die Graduiertenschule der UdK kommt hier in den Sinn. Die Möglichkeit, mehrere Dokumente in verschiedenen Formaten als eine „Einheit“ hochladen zu können, kann ebenfalls für Künstler*innen spannend werden, die viel schreiben und denen oft der Rahmen fehlt, ihre Arbeiten und dazugehörige Texte oder auch vorbereitende Materialien (im Grunde Forschungsdaten) über ihre Website hinaus in einem passenden, wissenschaftlichen Kontext öffentlich zugänglich zu machen.

Ob die Langzeitarchivierung Motivation ist, auf OPUS einzustellen, wage ich nicht zu sagen. Meiner Erfahrung nach sind Künstler*innen, die an Hochschulen lehren und forschen, in der Regel ausreichend organisiert, ihre Lebensgrundlage selbst gut und mehrfach zu sichern. Die automatische Konversion veralteter Formate in neue Formate, die einige Plattformen bieten, könnte u.U. von größerem Interesse sein, wenn man an die rapide Entwicklung im Bewegtbildbereich denkt.

OPEN ACCESS sichtbar machen

Wie in vielen Wissenschaften sind die Vorteile von Open Access auch im Kunstbereich nicht ausreichend bekannt. Die Arbeitsgemeinschaft der Kunst- und Museumsbibliotheken (AKMB) hat finanzielle Unterstützung angekündigt und eine Diskussion dieser Themen ist für die Tagungen von AKMB und IAML (International Association of Music Libraries, Archives and Documentation Centres) 2020 angedacht. Inwieweit auf vorhandene Netzwerke (Geisteswissenschaften, Musiker, Fachinformationsdienste) aufgebaut werden kann, wird sich zeigen. Auf jeden Fall müssen die Fakultäten und Forschenden beständig angesprochen und ins Boot geholt werden. Eine qualifizierte Beratung zu Autorenverträgen und OA-Lizenzen im Nicht-Text-Bereich wäre ein äußerst wertvoller Service für die Hochschulangehörigen.

Fazit

Eine weitere Vernetzung wird angestrebt und ist teilweise schon in die Tat umgesetzt worden: seit einigen Wochen gibt es eine Mailingliste für alle, die sich für Open Access im Bereich Kunst interessieren. Ein Wiki für den weiteren Austausch der Institutionen untereinander ist angedacht und wird eine hilfreiche Basis sein für alle, die – oft auf sich allein gestellt – in den eher kleine Bibliotheken in deutschen Hochschulen im Kunstbereich mit dem Thema befasst sind. Es gibt viele Fragen, deren Antworten sich sicher erst in der Praxis zeigen werden.


Fußnote

[1] Bettel, F., Frank, A., & Miljes, W. (2018). Sichtbarkeit, Sicherheit, Usability und Weiterverwendung – Benutzer/innenorientierte FIS/CRIS-Entwicklung am Beispiel von „Portfolio/Showroom“. Mitteilungen der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare, 71(1), 136-148. https://doi.org/10.31263/voebm.v71i1.1989