Ten Literary MATHterpieces

Zum Internationalen Tag der Mathematik und dem Pi-Tag habe ich (nicht nur) in der Bibliothek nach kurzweiligen literarischen Meisterwerken rund um die Mathematik gestöbert. Hier eine subjektive Top Ten.

Zehn. Keith Devlin: Mathematics. The Science of Patterns

Der britische Mathematiker und Wissenschaftsjournalist Keith Devlin gehört mit Ian Stewart und Martin Gardner zum Triumvirat der englischsprachigen Mathematikunterhaltung. Seit mehr als drei Jahrzehnten erklärt Keith Devlin die Mathematik oder arbeitet durch sie bewegte Biographien auf. 

Wie ein roter Faden zieht sich der Vergleich zwischen der Königin der Wissenschaften und anderen Künsten durch das literarische Schaffen des Engländers, so zum Beispiel das Verhältnis zur Musik:

Just as music comes alive in the performance of it, the same is true of mathematics. The symbols on the page have no more to do with mathematics than the notes on a page of music. They simply represent the experience.<span class="su-quote-cite">Keith Devlin, Mathematics. The Science of Patterns</span>

Mein erstes Buch von ihm war Muster der Mathematik. Ordnungsgesetze des Geistes (der deutsche Titel). Ich habe mich geschämt, weil ich vieles nicht verstanden oder mich aus Überforderung gelangweilt habe, doch nicht allzu selten strahlte mich die Poesie der Mathematik an. Ein Mathematikstudium später verstehe ich noch immer nicht alles, was Keith Devlin liebevoll aufbereitet, aber die Schönheit erschließt sich mir und macht Lust darauf, sich selbst auf Entdeckungsreise zu begeben, was letztlich der einzige Weg ist, Mathematik wirklich zu verstehen.

Auf deutsch auch an der TIB verfügbar.

Neun. Douglas R. Hofstadter: Gödel, Escher, Bach. An Eternal Golden Braid

Dieser Klassiker ist nichts für schwache Nerven. Allein zu erklären, worum es geht, kann das Hirn verknoten. Eine schöne wie schrullige Rezension gibt es von Mathematikprofessor Joseph Vandehey:

Wer sich auf das Buch über auf sich selbst beziehende Muster einlässt, entdeckt die Welt der Symmetrie, welche Gestalten sie annehmen kann und wo sie uns in Natur, Kunst und Wissenschaft begegnet. Ich habe dafür zwei Anläufe gebraucht, wurde dafür aber mit multiplen Nerdgasms belohnt.

Das 1979 erschienene Buch ist darüber hinaus aktueller denn je, wenn es über natürliche und künstliche Intelligenz philosophiert:

Sometimes it seems as though each new step towards AI, rather than producing something which everyone agrees is real intelligence, merely reveals what real intelligence is not. <span class="su-quote-cite">Douglas R. Hofstadter, Gödel, Escher, Bach. An Eternal Golden Braid</span>

An der TIB gibt es sowohl die deutsche als auch die originalsprachige Ausgabe.

Acht. Günther Ziegler: Darf ich Zahlen? Geschichten aus der Mathematik

Günter M. Ziegler. Foto von Sandro Most – CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4068188
Mathematik ist ein Fach für Helden.<span class="su-quote-cite">Günther M. Ziegler, Darf ich Zahlen? Geschichten aus der Mathematik</span>

Für Menschen, die Günther Ziegler, Mathematikprofessor, Präsident der Freien Universität Berlin und Vorstandsmitglied der International Mathematical Union, nicht kennen, mag dieses kurzweilige Buch wie noch irgendso eine Anekdotensammlung anmuten. Wer kennt es nicht? Mathematik fühlt sich wesensfremd an, und dann bekommt man ein Buch geschenkt, welches das (ehemalige) Angstfach verständlich und anregend erklären möchte. Spätestens in Kapitel 2 gibt man auf, weil beide Versprechen nicht gehalten werden. Da kennt man aber den Autoren schlecht.

Günther Ziegler ist ein durch und durch sympathischer und charismatischer Mensch, der die deutsche Forschungslandschaft übrigens auch durch die DEAL-Verhandlungen gelotst hat.  In Darf ich Zahlen? Geschichten aus der Mathematik verzichtet der Autor in seinen Kurzgeschichten auf mathematische Schwerkost und stellt die Menschen und deren historische Lebenswelten in den Vordergrund. Obwohl das Zielpublikum vorwiegend Laien anspricht, hat mir das Buch geholfen zu verstehen, dass mathematische Forschung nicht wie in der Vorlesung von der Kreidetafel purzelt, sondern im wahren Leben mühsam erarbeitet werden muss.

Auch an der TIB verfügbar.

Sieben. Edwin A. Abbott: Flatland. A Romance of Many Dimensions

Von E A Abbot – second edition, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9910903

Edwin Abbott Abbott (die doppelte Nennung ist kein Versehen) ist das beste Beispiel für wunderbare Mathematiklehrer: Der englische Schuldirektor schrieb die kultige Mathematiksatire Flatland für seine Schüler. Sie sollten nicht nur geometrische, sondern auch gesellschaftskritische Bildung in der Blüte des Viktorianischen Zeitalters erhalten. Das strenge Klassensystem des damaligen British Empire wird im Buch als wortwörtlich zweidimensionale Kastengesellschaft vorgestellt. Die Geschichte ist von Charles Dickens’ A Christmas Carol sowie Jonathan Swifts Gulliver’s Travels inspiriert, und so träumt sich der (wortwörtlich) runde Protagonist, ein Kreis, in jeweils drei- (yay) und eindimensionale (nay) Abenteuer. Schließlich macht er vor Spekulationen höherer Dimensionen nicht halt. 

I call our world Flatland, not because we call it so, but to make its nature clearer to you, my happy readers, who are privileged to live in Space.<span class="su-quote-cite">Edwin A. Abbott, Flatland. A Romance of Many Dimensions</span>

Das mittlerweile gemeinfreie Buch gibt es als Download oder für Bibliophile an der TIB.

Sechs. Jordan Ellenberg: How Not to Be Wrong. The Power of Mathematical Thinking

By Source, Fair use, https://en.wikipedia.org/w/index.php?curid=52091252

Der Titel kündigt bereits an, dass Jordan Ellenberg keine halben Sachen macht. Der Charme des Buches liegt in seiner Koketterie mit dem Größenwahn in der mathematischen Forschung. Dass manche Mathematiker (ja, es ist richtig gegendert) sogar vor einem Gottesbeweis nicht haltmachen, ist nur ein amüsantes Beispiel, wie die Wissenschaft zuweilen für die eigenen Zwecke verdreht werden kann. Augenzwinkerndes Fazit: Bloß keinen Bären von Mathematiker*innen aufbinden lassen, wenn sie versuchen, einem die “echte” Welt zu erklären.

A dead fish, scanned in an fMRI device, was shown a series of photographs of  human beings, and was found to have a surprisingly strong ability to correctly assess the emotions the people in the pictures displayed. That would be impressive enough for a dead person or a live fish – for a dead fish, it’s  Nobel Prize material!<span class="su-quote-cite">Jordan Ellenberg, How Not to Be Wrong. The Power of Mathematical Thinking </span>

In der originalsprachigen Ausgabe an der TIB verfügbar.

Fünf. Apostolos Doxiadis: Logicomix. An Epic Search for Truth

By Source, Fair use, https://en.wikipedia.org/w/index.php?curid=24677447

Graphic Novels sind eine Geschmacksfrage, dennoch gilt wie für alle anderen Formate: Der Inhalt zählt. Dieses Buch beschäftigt sich mit meiner Lieblingsepoche der Mathematik und Philosophie, nämlich dem ausklingenden 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert, als große Denker aus beiden ineinander verwobenen Disziplinen auf der Suche nach den Grundlagen und damit den Grenzen der Mathematik waren. Liebevoll und kritisch zugleich aufbereitet, begegnen wir aus Bertrand Russells Sicht erzählt den VIPs der Wissenschaftsgeschichte: Wittgenstein, Frege, Gödel (The Godfather of Mathematics himself) und vielen anderen. Am berührendsten fand ich die subtile Auseinandersetzung David Hilberts mit seinem psychisch belasteten Sohn. 

The things that cannot be talked about logically are the only ones which are truly important.<span class="su-quote-cite">Apostolos Doxiadis, Logicomix. An Epic Search for the Truth</span>

In Hannover gibt es das Buch in der Stadtbibliothek.

Vier. Albrecht Beutelspacher: Wie man in eine Seifenblase schlüpft

Der ehemalige Professor Albrecht Beutelspacher ist der bekannteste Erklärbär der Mathematik im deutschsprachigen Raum. Seit über 30 Jahren vermittelt und inspiriert er in populärwissenschaftlichen Büchern, mit Vorträgen oder Experimenten sowie durch sein Mathematik-Museum Mathematikum die Bedeutung und Schönheit des Faches. Meine Favoriten sind die Experimentsammlungen des Schwaben, in denen er zum Herumknobeln animiert und die verblüffenden Phänomene in Technik und Natur geduldig nachvollzieht. Wer die Sendung mit der Maus mag, wird Albrecht Beutelspachers Bücher lieben.

Wie man in eine Seifenblase schlüpft ist ein literarischer Rundgang durch das Mathematikum, der vor allem für Kinder und Jugendliche geeignet ist. 

Wenn man vorankommen will, braucht man einen Lehrer, Und zwar einen guten. Einen, der die richtigen Fragen stellt – und einem Zeit für die Antworten lässt.<span class="su-quote-cite">Albrecht Beutelspacher, Wie man in eine Seifenblase schlüpft</span>

Mit vielen weiteren Büchern des Autors auch an der TIB verfügbar.

Drei. Neal Stephenson: Anathem

http://www.unshelved.com/2008-9-7

Bevor im Science-Fiction-Roman Anathem des US-Amerikaners Neal Stephenson die Handlung beginnt hat die Leserin ausgiebig Gelegenheit, sich in der “mathischen” Klosteridylle auf der Welt Arbre zu akklimatisieren. Die Religion ist Wissenschaft, vor allem Mathematik, Philosophie und Geisteswissenschaften. Die Geschichte von Arbre, die Strukturen der klerikalen Gemeinschaft und allein das Vokabular spielen im ersten Teil die Hauptrolle. Die drohende Apokalypse gerät dabei fast zur Nebensache. Das aufregendste Rätsel: Was passiert eigentlich mit einem Menschen, wenn er sich ein Millennium lang mit der Mathematik beschäftigt?

Zugegeben, das Buch kann nur für eingefleischte Science-Fiction- und Mathematikfans seine Faszination entfalten, aber diese Gemeinde scheint nicht klein zu sein, immerhin wuchs seit dem Erscheinen vor zwölf Jahren eine regelrechte Subkultur drum herum. Zum Beispiel wurden die Mönchsgesänge, welche die Kreiszahl Pi abbilden, tatsächlich eingespielt.

If this all seems ambiguous, that’s because it is; and if that troubles you, you’d hate it here; but if it gives you a feeling of relief, then you are in the right place and might consider staying.<span class="su-quote-cite">Neal Stephenson, Anathem</span>

Auch dieses Buch gibt es in der Stadtbibliothek Hannover.

Zwei. Simon Singh: The Simpsons and Their Mathematical Secrets

Der britische Wissenschaftsjournalist Simon Singh wurde im Jahr 2000 mit seinem populärwissenschaftlichen Buch über Fermats letzten Satz bekannt. Seitdem hat er der Mathematik die Treue gehalten. Im 2013 erschienen The Simpsons and Their Mathematical Secrets (zu dt. Homers letzter Satz) arbeitet er die popkulturellen, nerdigen Matheanspielungen in der gelben Familienchronik auf.  

Mein Lieblingskapitel durchleuchtet die Mathematik und Physik hinter der Halloween-Episode Treehouse of Horror VI, Homer3. Homer weiß mal wieder nicht, wie ihm geschieht, als er im dreidimensionalen Raum landet. Bei dem trotteligen Versuch, sich aus der Misere zu befreien, reißt er ein Loch in das Raum-Zeit-Kontinuum. Das Unglück nimmt wissenschaftlich fundiert seinen Lauf.

Be nice to nerds. Chances are you’ll end up working for one.<span class="su-quote-cite">Charles J. Sykes (Simon Singh, The Simpsons and Their Mathematical Secrets)</span>

An der TIB sind sowohl die deutsch- als auch die englischsprachige Ausgabe verfügbar.

Eins. Hannah Fry: The Mathematics of Love

Die Top Ten wird natürlich von der Verbindung aus Mathematik und Liebe gekrönt. Als ich den TED Talk der britischen Mathematikerin Hannah Fry The Mathematics of Love sah, habe ich mich direkt schockverliebt. Mit unbestechlicher Logik optimiert sie das Liebesleben vom Kennenlernen (on- & offline) bis zur Hochzeitsplanung mit mathematischen Mitteln. Im Buch vereint sie uns sogar mit den liebgewonnen Charakteren aus Friends und analysiert, warum es immer besser ist, den ersten Schritt zu machen: 

 It is always better to do the approaching than to sit back and wait for people to come to you. So aim high, and aim frequently: The math says so.<span class="su-quote-cite">Hannah Fry, The Mathematics of Love</span>

An der TIB ist die deutschsprachige Ausgabe verfügbar.