Daten – ein Erfolgsfaktor für Unternehmen

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Neugegründetes Kompetenzzentrum am Leibniz Joint Lab Data Science & Open Knowledge unterstützt niedersächsische Unternehmen beim sicheren Datenaustausch entlang der Wertschöpfungskette

ein Beitrag von Alexandra Garatzogianni, Sandra Niemeyer, Andreas Kembügler, Thorsten Hülsmann


Dieser Beitrag ist auch in der aktuellen b.i.t. online, Ausgabe 4/2019 erschienen. 


Noch nie war die Welt so vernetzt wie heute. Die Digitalisierung bietet unzählige Chancen für neue Geschäftsmodelle. Dabei können Daten als eine strategische Ressource für den Erfolg von Unternehmen entscheidend sein. Der zuverlässige und sichere Zugriff und Umgang mit Daten ist daher für die Zukunft unserer Wirtschaft und Gesellschaft von entscheidender Bedeutung.

Schlüsseltechnologie für innovative Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI)

Aber warum sind Datensouveränität und datenbasierte Geschäftsmodelle wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und internationalen Wirtschaft? Wie entstehen aus dem sicheren Datenaustausch zwischen Unternehmen neue Wertschöpfungspotenziale? Und wie kann der sichere Datenaustausch zwischen Unternehmen ermöglicht werden? Antworten auf diese und weitere Fragen gibt die International Data Space Association (IDSA): Sie entwickelt mit ihren Mitgliedern aus Wirtschaft und Forschung eine sichere, vertrauenswürdige Architektur für den Datenaustausch entlang unternehmensübergreifender Wertschöpfungsketten. Sie schafft damit eine Basis für die Digitalisierung und effizientere Gestaltung industrieller Produktions- und Geschäftsprozesse. Sie eröffnet Potenziale für neue Wertschöpfungsszenarien.

Insbesondere möchte der gemeinnützige Verein IDSA einen Standard etablieren – einen de-facto-Standard für einen sicheren Datenraum und einen souveränen Datentransfer, den Unternehmen branchen- und länderübergreifend nutzen können. Das Ziel sind global gültige Regeln und Richtlinien für die Datensouveränität: Wer darf was mit welchen Daten in welchem Kontext was machen?

„Unternehmen in Deutschland und Europa brauchen ein strategisches Werkzeug, mit dem sie ihre Daten in Wertschöpfungsnetzwerken sicher austauschen und miteinander kombinieren können. Dies ist die grundlegende Voraussetzung für Innovationen und Basis moderner Geschäftsmodelle“, sagt Prof. Dr. Boris Otto, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der IDSA und geschäftsführender Leiter des Fraunhofer-Instituts für Software- und Systemtechnik ISST.

Virtueller Raum für den Datenaustausch

Das Ziel: Ein Netzwerk zuverlässiger, sicher austauschbarer Daten, das zu einer effizienteren Wertschöpfung in allen Bereichen der Wirtschaft beiträgt. Unternehmen sollen zukünftig in einem virtuellen Datenraum ihre Daten austauschen und so für andere Unternehmen nutzbar machen können. Die Souveränität über die eigenen Daten soll dabei respektiert und gewahrt sowie die vertrauensvolle Zusammenarbeit und Integration sowie die Sicherheit gewährleistet werden. „Die International Data Spaces erleichtern es Unternehmen, das Potenzial der Digitalisierung für ihre Geschäftsmodelle zu nutzen, ohne dabei die Kontrolle über ihre Daten abzugeben“, erklärt Otto.

Sehr anschaulich lässt sich das an Anwendungsfällen aus den IDS zeigen.

Der Weg bis zum offenen Datenraum ist jedoch noch lang. Ein Schritt ist die Gründung des IDSA-Kompetenzzentrums Niedersachsen am Leibniz Joint Lab Data Science & Open Knowledge des Forschungszentrums L3S der Leibniz Universität Hannover (LUH) und der TIB – Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften. Beide Akteure bringen dort ihr Wissen und ihre umfangreichen Forschungs- und Technologie-Kompetenzen aus dem Bereich Data Science ein, die sie an interessierte Unternehmen und Kooperationspartner weitergeben wollen. Die offizielle Gründungsveranstaltung fand unter dem Titel „International Data Spaces (IDS) für Industrie 4.0“ am 19. Juni 2019 in der TIB statt. Sie war Teil der Veranstaltungsreihe „Forschung trifft Wirtschaft“ von TIB und L3S, die darauf abzielt, Unternehmen bei der Digitalisierung durch Forschung und Innovation zu unterstützen.

„Ich freue mich sehr, dass ein regionales Kompetenzzentrum der International Data Space Association am L3S in Hannover gegründet worden ist“, erklärte Dr. Sabine Johannsen, Staatssekretärin im Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, bei der offiziellen Gründungsveranstaltung Ende Juni. Es passiere derzeit einiges zur Gestaltung der Digitalisierung in Niedersachsen. Wichtig sei dabei der Austausch von Wissenschaft und Wirtschaft, denn nur so könnten aus den Ideen und Erfindungen marktfähige Produkte werden, fuhr Johannsen fort.

Der Fokus der gesamten Veranstaltung lag auf den IDS und der Gründung des regionalen Kompetenzzentrums: Prof. Dr. Boris Otto beschäftigte sich in seiner Keynote mit „IDS als smarte Dateninfrastruktur für zukünftige KI-Anwendungen“. Weitere Vorträge thematisierten die Datenintegration in Industrie 4.0 sowie die semantische Datenintegration im IDS, zum Beispiel „Datenintegration in Industrie 4.0“ von Prof. Dr.-Ing. Berend Denkena (Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen, LUH), „Semantische Datenrepräsentation in der IDS“ von Dr. Sebastian Tramp (eccenca GmbH) und das „EU-Projekt Boost 4.0 (Big Data for Factories) und semantische Datenvernetzung für die IDS“ von TIB-Direktor Prof. Dr. Sören Auer. Außerdem war KI mit den Vorträgen „Wie KI die Automobilindustrie verändert“ von Dr. Michael Nolting (Leiter Digital Services & Datenanalytik bei Volkswagen Nutzfahrzeuge) und „IIP-Ecosphere – ein neuartiges KI-Ökosystem zur Vernetzung von Industrie, KMU und Forschung“ von Dr. Claudia Niederée (L3S) ein wichtiges Element.

International, national, regional: IDSA-Kompetenzzentrum Niedersachsen

Nachdem die International Data Spaces national, in Europa und international zunehmend an Popularität gewinnen, ist es nur logisch, dass nun auch regionale Kompetenzzentren und Innovationshubs der IDSA entstehen. In der IDSA engagieren sich inzwischen 100 Mitgliedseinrichtungen aus Wirtschaft und Forschung. Gemeinsam arbeiten sie an der Weiterentwicklung der IDS-Referenzarchitektur und des IDS-Standards. Um die Mitglieder mit Know-how zu unterstützen, die gemeinsame Arbeit voranzutreiben und Erfahrungen auszutauschen, knüpft die IDSA ein enges Netzwerk. Die Knotenpunkte in diesem Netz sind die IDSA-Kompetenzzentren. Diese möchte die IDSA vor allem an ökonomischen und gesellschaftlichen „Hot Spots“ etablieren. Hannover ist ein solcher Hot Spot: als niedersächsische Landeshauptstadt, als Großstadt mit über einer halben Million Einwohnerinnen und Einwohner, als namhafter Wissenschafts-, Industrie- und Messestandort.

„Mit dem neuen IDSA-Kompetenzzentrum in Hannover wollen wir niedersächsischen Unternehmen helfen, aufbauend auf vertrauenswürdigen Dateninfrastrukturen neue Geschäftsmodelle und Innovationen durch Künstliche Intelligenz (KI) im Bereich der Produktion und in anderen datengetriebenen Geschäftsbereichen zu verwirklichen“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Nejdl, geschäftsführender Direktor am L3S.

„Insbesondere in Niedersachsen spielt der Datenaustausch entlang den industriellen Wertschöpfungsketten eine zentrale Rolle und in unserem Joint Lab freuen wir uns darauf, mit Unternehmen der Region zusammenzuarbeiten”, ergänzt TIB-Direktor Prof. Dr. Sören Auer.

„Das niedersächsische IDSA-Kompetenzzentrum versteht sich als Schnittstelle zwischen Industrie, Forschung und Wissenschaft. Es zielt darauf ab, die Einführung neuer KI-Technologien und Geschäftsmodelle, die Digitalisierung sowie den Austausch von Best Practices, Standards und Daten zu unterstützen. Auf diese Weise wird Niedersachsen eine noch bedeutendere Rolle im europäischen und internationalen Netzwerk spielen, indem die Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Industrie sichergestellt wird”, so Alexandra Garatzogianni, Senior Projektmanagerin für Forschung und Innovation an der TIB und dem L3S und zuständig für das niedersächsische IDSA-Kompetenzzentrum.

Vom Referenzmodell zum offenen Datenmarktplatz

Eine Referenzarchitektur für einen sicheren Datenraum entwickelt die IDSA bereits seit 2016 – für einen zukünftigen offenen Datenmarktplatz müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein: Es müssen Anforderungen an einen solchen geschützten Datenraum identifiziert und gebündelt werden, in dem Daten aus verschiedenen Segmenten international gemeinsam genutzt und basierend auf vordefinierten Regelwerken ausgetauscht werden können. Außerdem müssen Anforderungen an die Entwicklung und den Betrieb eines solchen Datenraums festgelegt und Handlungsempfehlungen für die Unternehmen bereitgestellt werden. Derzeit hat die IDSA mehr als 100 Mitglieder aus 20 Ländern. Dazu gehören Software- und Systemanbieter, große mittelständische Unternehmen wie Boehringer, Rittal, SICK oder Schaeffler, Konzerne wie Allianz, Bosch, IBM oder Volkswagen, Forschungseinrichtungen wie Fraunhofer, das Institut für Mikrotechnik  der Technischen Universität Braunschweig oder die TNO, die Niederländische Organisation für Angewandte Naturwissenschaftliche Forschung. In den (sogenannten) „IDS Communities“ treiben die Mitglieder die Anwendung der IDS-Referenzarchitektur und die Etablierung des IDS-Standards voran. Es gibt die Communities „Industrial“, „Logistics“ und „Medical“ sowie die SME Alliance für klein- und mittelständische Unternehmen.

Mit „IDS_ready“, dem neuen Siegel für vertrauenswürdigen Datenaustausch, ist das IDS-Konzept nun auch bereit für den kommerziellen Einsatz. Die IDS-Architektur kann von Unternehmen außerhalb des Vereins genutzt werden. Dies ist ein großer Schritt auf dem Weg zu einem sicheren und vertrauensvollen Datenaustausch in der Industrie.

TIB und L3S: Unterstützung für niedersächsische Einrichtungen

Im IDSA-Kompetenzzentrum Niedersachsen sollen zukünftig Best Practices ausgetauscht, konkrete Anwendungsfälle bearbeitet, Nutzeranforderungen für die zukünftigen Datenmarktplätze definiert und gebündelt sowie Informationsveranstaltungen und Trainings für interessierte Organisationen aus Wirtschaft, Forschung und Verwaltung angeboten werden. Außerdem soll die IDS-Datenarchitektur als Basis für neue KI-Anwendungen wie Intelligente Produktion genutzt werden. Die intelligente Datenvernetzung in Produktionsprozessen unter Einbeziehung von Zulieferern, Ausrüstern und spezialisierten Dienstleistern ermöglicht dann neue Analyse- und Vorhersagedienste, zum Beispiel zur Optimierung von Wartungsintervallen oder Qualitätsmanagement.

Darüber hinaus wird die TIB insbesondere die semantische Datenvernetzung mittels Vokabularen und Ontologien unterstützen. Über die enge Verzahnung der TIB mit dem IDSA wird sie sicherstellen, dass die Dateninfrastruktur – wo möglich und sinnvoll – kompatibel zum IDS-Referenzmodell ist, wo auch Ontologien zur semantischen Datenvernetzung genutzt werden. Konkret bedeutet das, dass Informationen zwischen verschiedenen Unternehmen in einer Wertschöpfungskette nicht nur leichter ausgetauscht, sondern auch mit den semantischen Beschreibungen für Maschinen und Menschen verständlich verarbeitet werden können.

Als Wissenschaftliche Bibliothek und Forschungseinrichtung kann die Bibliothek bei der IDSA ihre Expertise und Rolle als deutsches Informationszentrum für die Digitalisierung von Wissenschaft und Technik einbringen. Das L3S  steuert seine Erfahrungen aus der digitalen Transformation sowie Data- und Web-Science bei. Der Wissenstransfer in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bildet einen zentralen Baustein der Aktivitäten der TIB und des L3S. So können Synergien gebündelt werden und die IDS weiterentwickelt werden. Eine der ersten Aufgaben, die das IDSA-Kompetenzzentrum in Angriff nimmt, ist es, Trainingsangebote für die regionalen Unternehmen zu entwickeln und konkrete Anwendungsfälle zu bearbeiten. In weiteren Schritten folgen dann eine zunehmende Vernetzung der Akteure, Daten und Prozesse, damit am Ende ein offener Datenraum steht, der den zuverlässigen und sicheren Zugriff und Umgang mit Daten gewährleistet.

Ansprechpartnerin:

Alexandra Garatzogianni
Senior Projekt Managerin für Forschung und Innovation

TIB – Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften: alexandra.garatzogianni@tib.eu

Forschungszentrum L3S: garatzogianni@l3s.de

Leibniz Joint Lab Data Science & Open Knowledge

Wie kann optimal in großen Datenbeständen im Internet, in Bibliotheken oder Archiven gesucht werden? Wie lassen sich verteilte Informationen besser vernetzen und Informationsflüsse zwischen Organisationen reibungslos organisieren? Mit diesen und weiteren Fragen zu den Themen Data Science und Open Knowledge beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Leibniz Joint Lab Data Science & Open Knowledge von der TIB und dem L3S.

Ziel des Joint Labs ist, es Methoden zu erforschen, die es ermöglichen, die Arbeit von Forscherinnen und Forschern in Wissenschaft und Wirtschaft in der digitalen Welt zu unterstützen. Neben klassischen Publikationen in Dokumentform müssen dazu insbesondere zunehmend auch Videos, Forschungsdaten, Software oder Wissensgraphen berücksichtigt werden. Forschungsgebiete sind Digital Libraries, Visual Analytics, Open Science, Information Retrieval, Web Science und Web Archives, Data Mining sowie Mensch-Computer-Interaktion.

Geleitet wird das Joint Lab von Prof. Dr. Sören Auer, Direktor der TIB und Inhaber des Lehrstuhls „Data Science & Digital Libraries“ an der Leibniz Universität Hannover. Prof. Dr. Wolfgang Nejdl, Direktor des Forschungszentrums L3S, ist wissenschaftlicher Ansprechpartner seitens der Leibniz Universität.

Das Forschungszentrum L3S

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Forschungszentrum L3S der Leibniz Universität Hannover entwickeln Methoden und Technologien für den digitalen Wandel und erforschen die Auswirkungen der Digitalisierung, um aus den Erkenntnissen Handlungsoptionen, Empfehlungen und Innovationsstrategien für Wirtschaft, Politik sowie Gesellschaft herzuleiten. Durch Forschung, Entwicklung und Beratung trägt das L3S gemeinsam mit seinen Partnern zur digitalen Transformation insbesondere in den Bereichen Mobilität, Gesundheit, Produktion und Bildung bei.

TIB – Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften

Die TIB – Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften in Hannover versorgt als Deutsche Zentrale Fachbibliothek für Technik sowie Architektur, Chemie, Informatik, Mathematik und Physik vor allem die nationale wie internationale Forschung und Industrie mit Literatur und Information. Sie ist die weltweit größte Fachbibliothek in ihren Bereichen und verfügt über einen exzellenten Bestand an grundlegender und hoch spezialisierter technisch-naturwissenschaftlicher Fachliteratur.

Die TIB baut ihre Rolle als deutsches Informationszentrum für die Digitalisierung von Wissenschaft und Technik stetig aus. Für Fach- und Forschungscommunities stellt sie unter www.tib.eu wissenschaftliche Inhalte, digitale Dienste und Methodenkompetenz bereit, um die verschiedenen Phasen des wissenschaftlichen Arbeitens zu unterstützen. Als forschende Bibliothek betreibt die TIB angewandte Forschung und Entwicklung, um neue Dienstleistungen zu generieren und bestehende zu optimieren. Die Schwerpunkte liegen auf Data Science, nicht-textuellen Materialien, Open Science und Visual Analytics.

Leitung Wissens- und Technologietransfer, Koordinatorin von EU-Projekten // Head of Knowledge and technology transfer, Coordinator of EU Projects