Open-Access-Lizenzmodelle in der Praxis – vier Verlage stellen sich vor

ein Beitrag von Dr. Dana Vosberg (Referentin für Lizenzen) und Dr. Alexander Pöche (Leitung Referat Lizenzen)

Artikel von Autorinnen und Autoren der eigenen Einrichtung frei verfügbar machen und damit die Open-Access-Transformation unterstützen – eine gute Idee, aber wie umsetzen?

Um für ihre Einrichtung Antworten auf diese Frage zu finden, kamen am 26. Juni 2019 Erwerbungsverantwortliche aus mehr als 60 Hochschulbibliotheken und außeruniversitären Forschungseinrichtungen im Rahmen eines von der TIB – Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften initiierten Workshops zusammen. In Hannover präsentierten vier Fachgesellschaften ihre für Deutschland bereits umgesetzten beziehungsweise  geplanten Lizenzmodelle und stellten sich der Diskussion und dem Erfahrungsaustausch mit den Bibliothekarinnen und Bibliothekaren.

Erwerbungsverantwortliche aus mehr als 60 Hochschulbibliotheken und außeruniversitären Forschungseinrichtungen kamen im Rahmen des von der TIB initiierten Workshops zu Open-Access-Lizenzen zusammen. // Foto: Iris Höltje (TIB)

Institute of Physics Publishing (IOP)

Ian Sutton,Regional Sales Manager beim Institute of Physics Publishing (IOP) gab einen Überblick über Inhalte und Umsetzung des zum 1. Januar 2019 abgeschlossenen nationalen Offsetting-Vertrages, verhandelt zwischen der physikalischen Fachgesellschaft IOP und der TIB. Für diese sogenannte Institutional Research License haben sich derzeit 64 Einrichtungen entschieden. Grundidee des Lizenzmodells ist die Verrechnung der Lizenzkosten mit den Artikelgebühren (Article Processing Charges, kurz APCs), die für jeden durch einen Autor oder eine Autorin der Einrichtung im Open Access publizierten Beitrag in einem IOP-Journal anfallen würden. Dabei wird den Einrichtungen anhand des Publikationsaufkommens aus den Vorjahren ein bestimmtes Kontingent an freien Artikeln eingeräumt. Übersteigt der Wert des Kontingents einer Einrichtung deren Subskriptionsgebühren, so können überschüssigen Artikel im Konsortium umverteilt werden. Idealerweise würden die gesamten Lizenzkosten zum Artikelfreikauf eingesetzt werden, was auch aus dem Teilnehmerkreis des Workshops wiederholt gefordert wurde. Nach Aussage von IOP erweist sich jedoch als großes Problem, einen 100-prozentigen Artikelfreikauf bei gleichzeitiger Preisniveaustabilität und ohne Berücksichtigung internationaler Entwicklungen umzusetzen. Im Rahmen des aktuellen Dreijahresvertrages können immerhin 243 Artikel ohne Zusatzkosten im Open Access (OA) publiziert werden, das entspricht etwa 60 Prozent der durchschnittlich in den letzten drei Jahren in IOP-Journals veröffentlichten Beiträge.

Royal Society of Chemistry (RSC)

Während Offsetting-Verträge sich weiterhin stark am bestehenden Subskriptionsniveau orientieren, gibt es mittlerweile auch Lizenzmodelle, die eine publikationsorientierte Bepreisung vorsehen. Die Einrichtungen zahlen Artikelgebühren für jede Publikation und erhalten gegen eine entsprechende Gebühr lesenden Zugriff auf alle (übrigen) Verlagsinhalte sowie Archivrechte. Dieses sogenannte Read & Publish-Modell liegt dem mit RSC abgeschlossenen Vertrag zugrunde. Claudia Heidrich, Senior Sales Executive bei der Royal Society of Chemistry (RSC) erläuterte Zielsetzung und Berechnungsgrundlagen dieses transformativen Open-Access-Modells. Zur Bestimmung des Publikationsanteils wird das Publikationsaufkommen des Vorjahres mit der einheitlichen Artikelgebühr von derzeit 1.600 GBP multipliziert. Für eine Übergangszeit wird davon ein sogenannter Transition Discount abgezogen. Die Berechnung der Lesegebühr basiert auf der Anzahl der bisher noch nicht frei zugänglichen Artikel, die mit einem Stückpreis von 1 GBP multipliziert werden. Gold-Open-Access- Titel sind – wie bei IOP auch – nicht Gegenstand des Vertrages. Die Autorenidentifikation läuft recht zuverlässig über die beim Verlag hinterlegten E-Mail-Domains der Einrichtungen. Ein monatliches Reporting erleichtert den Überblick über Publikationszahlen und -kosten, das nachträgliche Wechseln von Artikeln in eine OA-Lizenz ist ebenfalls möglich.

Claudia Heidrich, Senior Sales Executive bei der Royal Society of Chemistry (RSC) erläuterte Zielsetzung und Berechnungsgrundlagen dieses transformativen Open-Access-Modells. // Foto: Iris Höltje (TIB)

Aus dem bisherigen Nationalkonsortium haben sich mittlerweile zwölf Einrichtungen (und damit fünf mehr als im Vorjahr) für die Teilnahme an diesem Lizenzmodell entschieden. Dass immer noch 67 Einrichtungen im „normalen“ Subskriptionsmodell verbleiben, ist auf die hohen Umstiegskosten zurückzuführen. Vor allem für kleinere Einrichtungen ist die FTE-unabhängige Reading Fee, bei der die Zahl der Studierenden sowie der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Einrichtung nicht berücksichtigt wird, deutlich teurer als ihre derzeitigen Lizenzkosten. Auch sehr publikationsstarke Einrichtungen müssten erheblich höhere Kosten tragen, bekommen dafür aber zumindest einen entsprechenden Mehrwert. Dennoch können Transparenz und Transformationspotenzial dieses Read & Publish-Modells aus Sicht vieler Einrichtungen die höhere Kostenbelastung nicht aufwiegen.

American Chemical Society (ACS)

Für die Publikationen der American Chemical Society (ACS) existieren derzeit in Deutschland verschiedene regionale Konsortien, die den Übergang zu einem Offsetting-Vertrag ab 2020 in gegenseitiger Abstimmung verhandeln. Monica Azulay, Regional Sales Executive,  legte dar, welche Schwerpunkte die Fachgesellschaft im Hinblick auf Open Access setzt. Nach einer Experimentierphase mit Rabatten auf APCs, der Einführung zweier Gold OA-Zeitschriften und einem Offsetting-Pilotprojekt in den Niederlanden sind nun die Vorbereitungen abgeschlossen, OA-Modelle flächendeckend umzusetzen.

Monica Azulay, Regional Sales Executive,  legte dar, welche Schwerpunkte die American Chemical Society (ACS) im Hinblick auf Open Access setzt. // Foto: Iris Höltje (TIB)

Dabei kommt folgendes Lizenzmodell zur Anwendung: Aus der Division der Subskriptionsgebühren durch die aktuelle APC-Rate ergibt sich ein Kontingent an Artikeln, welche Open Access veröffentlicht werden können. Dabei können diese „credits“ auch innerhalb eines Konsortiums verteilt werden. Voraussetzung ist jedoch, dass alle teilnehmenden Einrichtungen das ACS All Publications Package für die gesamte Vertragslaufzeit lizenzieren. Die Identifikation der Autorinnen und Autoren und die Validierung von Artikeln erfolgen über das Copyright Clearance Center (CCC). Es gilt das Prinzip „first come, first served“, das heißt, die Artikel werden in der Reihenfolge ihrer Einreichung von den jeweiligen Kontingenten abgezogen.

Während für die anderen Verlage eine CC-Lizenz zum Standard gehört, verlangt ACS dafür eine hohe Zusatzgebühr. Daraus ergaben sich im Anschluss an die Präsentation etliche kritische Fragen.

American Institute of Physics (AIP)

Kevin Steiner, Head of Global Sales beim American Institute of Physics (AIP) wies darauf hin, dass der Prozess der OA-Transformation derzeit vor allem von den Forschungsförderern intensiv vorangetrieben wird (siehe vor allem Plan S). Dies führt zu einer zunehmenden institutionellen Verankerung von Open-Access-Policys an Forschungseinrichtungen und Universitäten, die sich wiederum in veränderten Lizenzmodellen niederschlägt. Gleichzeitig versuchen immer mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Paywall zu umgehen, was laut Kevin Steiner vor allem auf die leichtere Verfügbarkeit „schwarzer“ Artikel zurückzuführen ist.

Kevin Steiner, Head of Global Sales beim American Institute of Physics (AIP) wies darauf hin, dass der Prozess der OA-Transformation derzeit vor allem von den Forschungsförderern intensiv vorangetrieben wird. // Foto: Iris Höltje (TIB)

Momentan laufen Open-Access-Pilotprojekte des Verlages mit den Teilnehmenden des aus 85 schwedischen Einrichtungen bestehenden BIBSAM-Konsortiums und der Universität Wien. Dabei verzichtet AIP auf die Erhebung von APCs, solange die Einrichtung den jeweiligen Titel, in dem veröffentlicht werden soll, subskribiert. Dieses Modell soll im Zuge der Erneuerungsverhandlungen ab 2020 auch für andere Einrichtungen Anwendung finden. Ein Angebot für das von der TIB geführte nationale AIP-Konsortium soll in Kürze vorgelegt werden.

Paneldiskussion

Eine abschließende Paneldiskussion nutzten die Verlage unter anderem, um auf den hohen Investitionsbedarf in ihren Häusern sowie die wirtschaftlichen Risiken hinzuweisen, die mit der Open-Access-Transformation für sie verbunden sind. Auch die Umwandlung bisheriger Hybrid-Zeitschriften in Gold-Open-Access-Titel, ein insbesondere von Forschungsförderorganisationen favorisierter Ansatz, wird als kritisch erachtet, da bei einem solchen sogenannten  Journal Flipping aus Verlagssicht erfahrungsgemäß die Zahl der Einreichungen bei einem solchen Wechsel deutlich zurückgehen würden. Auf die Angabe eines Prozentsatzes an OA-Artikeln in einer Zeitschrift, ab dem man sich zum Journal Flipping verpflichtet, ließ  sich entsprechend auch keine der Fachgesellschaften ein.

Des Weiteren war es allen vier Fachgesellschaften wichtig zu betonen, dass – im Gegensatz zu den klassischen Verlagen – der mit Lizenz- und Publikationsgebühren erwirtschaftete Umsatz nicht der Gewinnerzielung diene, sondern sinnvoll in die Wissenschaft, beispielsweise im Rahmen von Förderprogrammen für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, reinvestiert werde. Solche „Nebenkosten“ seien auch ein Grund dafür, dass einer transparenten und nachvollziehbaren Preiskalkulation von APC-Kosten Grenzen gesetzt sind.

Die abschließende Paneldiskussion nutzten die Verlage unter anderem, um auf den hohen Investitionsbedarf in ihren Häusern sowie die wirtschaftlichen Risiken hinzuweisen, die mit der Open-Access-Transformation für sie verbunden sind. // Foto: Iris Höltje (TIB)

Fazit

Es bewegt sich etwas …
Der Stand der Entwicklung – das hat der Workshop deutlich gezeigt – mag  unterschiedlich sein, aber an Angeboten für eine Open-Access-Transformation kommen größere Fachgesellschaften nicht mehr vorbei.

Der besondere Reiz der Veranstaltung lag nicht nur in der konzentrierten Information, sondern gerade auch in der Möglichkeit des direkten Vergleichs der verschiedenen Lizenzmodelle und administrativen Lösungen. Dabei wurde zumindest bei den vertretenen vier Organisationen deutlich, dass die Problemstellung nahezu identisch ist. Dies gilt beispielweise für eine sichere und dennoch eindeutige Identifizierung von Autorinnen und Autoren bei der Artikeleinreichung.

Aus Bibliothekssicht kann der Verwaltungsaufwand, der sich nicht nur grundsätzlich aus der Transformation, sondern auch aus der größeren Anzahl unterschiedlicher Modelle, Lösungen und Prozesse ergibt, sehr abschreckend wirken. Hier würde man sich manchmal wünschen, dass auch die Fachgesellschaften stärker bei der Suche nach Lösungen zusammenarbeiten würden.

Allen vier Fachgesellschaften ist hoch anzurechnen, dass sie bereit waren, an einem gemeinsamen Workshop teilzunehmen und sich dieser Vergleichssituation zu stellen. Interessant wird sein, zu sehen, wie sich die unterschiedlichen Modelle und administrativen Ansätze in der Praxis bewähren.

... ist Referentin für Lizenzen.