60 Jahre TIB – aus Sicht der Erwerbung

Die Technische Informationsbibliothek (TIB) wurde am 15. Juni 1959 an der Technischen Hochschule Hannover als unselbständige Anstalt des Landes Niedersachsen per Erlass des Niedersächsischen Kultusministers gegründet.

Bereits am 19. Februar 1959 hatte die Kultus- und Finanzministerkonferenz beschlossen, die Technische Informationsbibliothek in das Königsteiner Staatsabkommen über die Finanzierung wissenschaftlicher Forschungseinrichtungen mit überregionalem Wirkungsbereich aufzunehmen.

Für ihren Auftrag „als zentrale technische Bibliothek der Bundesrepublik [,] den besonderen Literaturbedürfnissen der technischen Forschung und der technischen Praxis [zu] dienen“, wurden seit April desselben Jahres Anlaufmittel für Personal und für den Aufbau von Buchbeständen zur Verfügung gestellt.

Aus Perspektive heutiger Bestandsentwicklung ist es interessant nachzuvollziehen, was mit den ersten Erwerbungsmitteln im April 1959 für die neu gegründete TIB erworben wurde. Die Mittel für den Literarturerwerb kamen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und waren mit jährlich 200.000 DM veranschlagt, für das erste Jahr 100.000 DM. Zusätzlich wurden einmalig 90.000 DM für retrospektive Bestandsergänzungen bei Nachschlagewerken, Referateorganen etc. bewilligt. Bei dem ab 1959 zu ergänzendem Bestand handelte es sich um den der Bibliothek der Technischen Hochschule, deren Vorgängerinstitution 1831 gegründet worden war.

Die Erwerbungen wurden 1831 in einem sogenannten „Accessions-Catalog“ erfasst.

Für jedes folgende Haushaltsjahr wurde ein eigenes Journal angelegt. Die historischen Akzessionsjournale bis 1945 wurden kürzlich aus konservatorischen Gründen an das Archiv der TIB/Universitätsarchiv Hannover abgegeben, wo sie zudem für wissenschaftliche Forschungen z. B. im Rahmen von Provenienzrecherchen einsehbar sind.

Diese Art der Dokumentation und Verwaltung von Erwerbungsvorgängen hatte sich bis 1959 nicht wesentlich verändert, auch wenn die Accessions-Cataloge nun Zugangsbücher hießen und überwiegend maschinenschriftlich geführt wurden. So wurde immer der Name des Werkes verzeichnet sowie die Buchhandlung, in der es gekauft wurde und zu welchem Preis. Daneben gab es „Tausch“ und „Geschenk“ als weitere mögliche Erwerbungsarten.

Die Zugangsbücher 1-3 des Jahres 1959 umfassen die Erwerbungen für die Bibliothek der Technischen Hochschule Hannover (Landesmittel), während die Zugangsbücher 3-6 die Akzession für die Technische Informationsbibliothek (DFG-Mittel) dokumentieren. In beiden Fällen wird bei der Erwerbung nach Büchern und Zeitschriften getrennt.

Das erste Buch, das am 8. Mai für die TIB erworben wurde, trug den Titel Weichmachungsmittel für Kunststoffe und Lacke von Walter Max Münzinger und war 1959 im Stuttgarter Konradin-Verlag erschienen.

Im Zugangsbuch Nr. 5 für die Zeitschriften der Technischen Informationsbibliothek wurde bereits am 3. April 1959 das erste Reihenstück einer Konferenz verzeichnet, die aus DFG-Mitteln erworben wurde. Dabei handelt es sich  um die Proceedings of the High Speed Computer Conference 1956, held at Louisiana State Universtiy, Baton Rouge, Louisiana, February 14, 15, 16 and 17, 1956.

Während die Akzessionskartei für diesen Titel leider nicht mehr aufzufinden ist, gibt der Zeitschriftenserienkatalog (ZSK) über den Standort Auskunft: TIB Z 89

Zu den Lieferanten, bei denen Literatur 1959 bestellt wurde, gehörten neben zahlreichen international bekannten Verlagen und Fachgesellschaften auch mehrere Buchhandlungen aus Stadt und Region Hannover, darunter u. a. Schmorl & von Seefeld.

In Ermangelung einer Rechnung an die TIB aus dem Gründungsjahr 1959 ist hier eine vergleichbare Rechnung an die Hochschulbibliothek von 1960 zur Veranschaulichung abgebildet.

Um ein ungefähres Gefühl für die damaligen Preise zu bekommen, ist es hilfreich sich anzusehen, wie hoch die Einzelhandelspreise 1959 im Vergleich waren. So kostete ein kg „Bohnenkaffee, geröstet, lose, mittlere Sorte“ die beachtliche Summe von 18,04 DM, die „Anfertigung eines einfachen sportlichen Frauenkleides (Preis ohne Stoff, aber mit einfachen Zutaten)“ 35,90 DM oder ein „Herren-Oberhemd mit festem Kragen, Popeline, Kragenweite 39, mittlere Qualität“ 13,88 DM. Der Liter Benzin kostete an der Tankstelle 62 Pfennige, das „Frisieren (Waschen und Legen) für Damen im einfacheren Friseurgeschäft“ 3,51 DM und einen „Kleiderschrank, Hartholz, gebeizt, ohne Wäschefach, 120 cm breit (Ab November 1959 Kleiderschrank, furniert, mit Kleiderstange und Hutboden, zerlegbar, zweitürig, ohne Wäschefach, etwa 120 cm breit)“ bekam man für 185 DM. Der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst der Angestellten in Industrie und Handel betrug 1959 beispielsweise 536 DM. Diese und weitere interessante Zahlen für das Jahr 1959 findet man im Statistischen Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland im Band 1961 ab Seite 488.

Seit Einführung der elektronischen Datenverarbeitung im Bibliothekswesen werden die Erwerbungsvorgänge  nicht mehr hand- oder maschinenschriftlich verwaltet. Das Lokale Bibliotheksystem niederländischer Herkunft tut in der TIB in verschiedenen Versionen seit Anfang/Mitte der 1990er Jahre zuverlässig seinen Dienst – eine in IT-Dimensionen gedacht – sehr lange Zeit.

Die erste Bestellung mit Bestellnummer 94000001 hatte den schönen Titel:

Titel:  De toekomst met PICA : beleid 1993-1998 / [Pica]

Körperschaft/en:  Stichting Centrum voor Bibliotheekautomatisering Pica$gLeiden ; ID: gnd/5010632-6 [Urheber]

Ort/Jahr:  Leiden : Stichting Centrum voor Bibliotheekautomatisering PICA, [1992]

Sprache/n:  Niederländisch, Englisch

Umfang:  20 S : Ill

Paralleltitel:  The future with PICA

Anmerkung:  Text niederländ. und engl.

IMD-Felder maschinell generiert (GBV)

ISBN:  90-70311-45-3

Schlagwörter:  *PICA$gBibliotheksinformationssystem ; ID: gnd/4366157-9 /

Sachgruppen:  06.54$jBibliotheksautomatisierung

[ILN: 70 ELN: 0089 TIB Hannover]

und wurde am 26. April 1994 vorbereitend auf die interne Schulung zur System-Einführung in der TIB angelegt. Dies war aber nur ein „Test-Titel“.

Die erste „echte“ Erwerbung war ein Informatik-Titel mit der Bestellnummer 94000002, inventarisiert unter T 94 B 7351, heute aufgestellt am Standort TIB Rethen:

Titel:  Programming as if people mattered : friendly programs, software engineering, and other noble delusions / Nathaniel S. Borenstein

Person/en:  Borenstein, Nathaniel S.

Ort/Jahr:  Princeton, NJ [u.a.] : Princeton Univ. Press, 1991

Sprache/n:  Englisch

Umfang:  XIV, 186 S : Ill., graph. Darst ; 24 cm

Anmerkung:  Includes bibliographical references (p. [183] – 186)

IMD-Felder maschinell generiert (GBV)

ISBN:  0-691-08752-0 :  : $29.95

Schlagwörter:  *Software Engineering ; ID: gnd/4116521-4

* / Software engineering ;  / User interfaces (Computer systems) ; Interfaces (Computers)

Sachgruppen:  54.51$jProgrammiermethodik

QA76.758

004.019  ;  004/.01/9 -Q–OCLC

Elektron. Referenz:  http://www.loc.gov/catdir/description/prin031/91019969.html

Die letzte Änderung an dieser Bestellung wurde vor genau 25 Jahren getätigt.

Allerdings ist das in die Jahre gekommene Lokalsystem nicht auf die Verwaltung  elektronischer Medien ausgerichtet. Hier sind inzwischen Funktionalitäten gefragt, mit denen die Laufzeiten von Verträgen für Lizenzen und die darin eingeräumten Nutzungsrechte zweckmäßig verwaltet werden können.

Hinzu kommt die zunehmende Abkehr von der Bezahlung des lesenden Zugriffs durch Kauf und die damit verbundene Transformation in Richtung Open Access, wobei nun die Publikation selbst aus „ehemaligen“ Erwerbungsmitteln finanziert werden muss und dafür der elektronische Zugang zu ihnen für jedermann zu jeder Zeit und von jedem Ort aus offen ist. Ein aktuelles Beispiel dafür ist das DEAL-Projekt.

Mit dem Digitalen Wandel der Medien von deren Entstehung bis zu ihrer Benutzung in Forschung und Lehre steht auch der Wandel bei deren Verwaltung in der Bibliothek an, wofür die TIB, seit dem 1. Januar 2016 rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts,  gut gerüstet ist.

 

Eine kurze Chronik der TIB

Die heutige TIB ist aus der 1831 gegründeten Bibliothek der im selben Jahr errichteten „Höheren Gewerbeschule zu Hannover“ und der 1959 gegründeten „Technischen Informationsbibliothek“ hervorgegangen. Sie positioniert sich heute als modernes Informationszentrum für die Digitalisierung von Wissenschaft und Technik.

  • Die Technische Informationsbibliothek (TIB) wird am 15. Juni 1959 durch Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur als unselbständige Anstalt des Landes Niedersachsen an der Technischen Hochschule (TH) Hannover auf Initiative der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) errichtet. Die TIB wird die Zentrale Fachbibliothek der Bundesrepublik für Technik sowie ihrer naturwissenschaftlichen Grundlagenfächer. Wesentliche Merkmale des Bestandsaufbaus: Graue Literatur und Regionalschwerpunkte Ostasien und Osteuropa.
  • Am 21. Mai 1965 wird das neu Hauptgebäude am Welfengarten bezogen: Baukosten 10,8 Mio. DM, Gesamtfläche 12.000 qm, Fassungsvermögen 1,1 Mio. Bände, davon 50.000 Freihand in den Lesesälen.
  • Die Finanzierung der TIB erfolgt ab 1977 nach der Rahmenvereinbarung Forschungsförderung durch den Bund (30%) und die Länder (70%) (Blaue Liste).
  • Wegen zu geringer Erwerbungsmittel muss die Literaturbeschaffung 1981 für 8 Monate eingestellt werden. Gründe hierfür sind Preiserhöhungen vor allem bei ausländischer Literatur, Kursanstiege von US-Dollar und britischem Pfund sowie eine Erhöhung der Buch- und Zeitschriftenproduktion. 1982 wird der TIB-Haushalt um 58% (1,26 Mio. DM) erhöht.
  • Die Universität Hannover überlässt 1983 der UB/TIB das Marstallgebäude. 1985 beziehen Direktion und Verwaltung das Obergeschoss, 1986 wird das Marstallgebäude offiziell eingeweiht.
  • Im neu errichteten Wilhelm-Grunwald-Haus werden ab 1991 der Lesesaal der osteuropäischen Fachliteratur, die EDV-Abteilung, die Buchbinderei und Teile der Reprostelle untergebracht.
  • Für Erwerbung, Katalogisierung und Ausleihe wird 1994 das PICA-System eingeführt. 1995 geht die UB/TIB-Hompage online.
  • 2002 wird ein neues Außenmagazin in Laatzen/Rethen eingeweiht.
  • Seit dem 1. Januar 2003 ist die TIB Landesbetrieb nach § 26 der Niedersächsischen Landeshaushaltsordnung.
  • Am 1. März 2003 werden die fünf geistes- und sozialwissenschaftlichen Fachbereichsbibliotheken der Niedersächsischen Landesbibliothek in die UB integriert. Seit dem 1. Juli 2003 heißt die Kooperation von TIB und UB offiziell TIB/UB.
  • Seit dem 1. Januar 2016 ist die TIB eine Stiftung des öffentlichen Rechts des Landes Niedersachsen. In dieser Stiftung werden die Technische Informationsbibliothek (TIB) und die Universitätsbibliothek (UB) der Leibniz Universität Hannover zusammengeführt. Die Stiftung trägt die Zusatzbezeichnung Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften und Universitätsbibliothek.
  • Seit dem 1. Juli 2017 ist Prof. Dr. Sören Auer neuer Direktor der TIB. Neben seiner Tätigkeit als Direktor leitet er an der TIB den Programmbereich „Forschung und Entwicklung“ sowie die Forschungsgruppe „Data Science & Digital Libraries“ und übernimmt an der Leibniz Universität eine Professur zu diesem Themenbereich. Der Forschungsbereich an der TIB wird seit dem stetig ausgebaut.
  • Als Ergebnis der im Februar 2018 durchgeführten Evaluierung empfiehlt der Senat der Leibniz-Gemeinschaft im November 2018 die weitere finanzielle Förderung der TIB – Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften. In seiner Stellungnahme betont der Senat, dass die Bibliothek den durch die Digitalisierung bedingten tiefgreifenden Transformationsprozess von einer klassischen Bibliothek hin zu einem zunehmend digitalen Informationszentrum in überzeugender Weise gestalte.

... leitet den Bereich Medien- und Lizenzmanagement an der TIB und ist zuständig für die Betreuung des Gewerkschaftsarchivs, des Peter-Brückner-Archivs und der sozialwissenschaftlichen Nachlässe und Sammlungen am Standort TIB Sozialwissenschaften