Was ist Predatory Publishing?

„Dear Sir, considering your great contributions to this research field, you are cordially invited to submit some unpublished papers to us.“ Vermutlich jede Wissenschaftlerin, jeder Wissenschaftler kennt so oder ähnlich beginnende E-Mails, manche finden sie fast täglich in ihrer Inbox. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es nicht die Herausgeber von Nature oder Science sind, die auf diese Weise Beiträge akquirieren. Eher handelt es sich um sogenannte „Predatory Journals“.

Das Geschäftsmodell

„Predatory Journals“ sind Zeitschriften, die gegen Bezahlung wissenschaftliche Artikel veröffentlichen, dabei aber nicht die zu erwartenden redaktionellen und publizistischen Dienstleistungen erbringen. Die Zeitschriften sind unseriös: Beispielsweise wird eine ordentliche Qualitätskontrolle durch Peer Review oder die Indizierung in Datenbanken nur vorgegaukelt. Interessiert sind solche Journals nur am Geld der Forschenden.

Für die Publikation eines Artikels zu bezahlen, ist erst einmal nichts Verwerfliches. Von den Autor/innen aufzubringende sogenannte „article processing charges“ sind ein verbreitetes (wenn auch aus Sicht der Wissenschaft teures, aufwändiges und wenig nachhaltiges) Finanzierungsmodell von Open-Access-Zeitschriften. Auch viele traditionelle Subskriptionszeitschriften verlangen „page charges“ oder Gebühren für Zusatzleistungen. Bei wissenschaftlichen Buchveröffentlichungen sind ohnehin teils recht hohe Druckkostenzuschüsse üblich. Betrügerisch wird es, wenn eine behauptete Gegenleistung, also insbesondere eine Qualitätskontrolle durch Peer Review, nicht erbracht wird. Dass diese Qualitätskontrolle fehlt, zeigt sich besonders dann, wenn zufallsgenerierter Nonsens oder gezielt platzierte Scherz-Artikel (Mit welcher Hand wischen sich linke bzw. rechte Politker den Allerwertesten ab?) veröffentlicht werden.

Eine Abwandlung des Geschäftsmodells, von der man zunehmend hört, ist, dass solche Verlage sich nicht fürs Veröffentlichen, sondern fürs Nicht-Veröffentlichen bzw. Zurückziehen bezahlen lassen. Das funktioniert so: Der Wissenschaftler reicht einen Artikel ein, merkt aber, z.B. dadurch, dass der Artikel in kürzester Zeit ohne Änderungen akzeptiert wird, dass an der Sache etwas faul ist und möchte die Veröffentlichung verhindern bzw. den bereits publizierten Artikel zurückziehen. Durch die Veröffentlichung in einer dubiosen Zeitschrift ist nicht nur sein Ruf in Gefahr, er kann die Arbeit auch nicht mehr bei einer seriösen Zeitschrift einreichen, da sie ja bereits veröffentlicht wurde. Die Publikation verschwindet dann aber nur gegen Bezahlung. Es handelt sich also um eine Art Erpressung.

Unseriöse Zeitschriften sind manchmal leicht als solche auszumachen, oft hingegen haben sie gut aufgemachte Webseiten, Titel, die denen von etablierten Zeitschriften zum Verwechseln ähnlich sind und werben mit einem prominent besetzten Editorial Board, auch wenn manche der Genannten offenbar nichts von dieser zweifelhaften Ehre wissen. Die Spreu vom Weizen zu trennen, ist nicht immer leicht (dazu mehr in einem der nächsten Blogbeiträge). Es gibt auch keine scharfe Trennlinie zwischen „guten“ und „bösen“ Zeitschriften, sondern eine große Grauzone. Nicht jede Zeitschrift, die niedrigere Qualitätsstandards hat, verfolgt betrügerische Absichten. Auch etablierte Wissenschaftsverlage haben neben ihren Flaggschiffen minderwertige Zeitschriften im Portfolio. Elsevier hat beispielsweise mehrere Jahre lang medizinische Zeitschriften herausgegeben, die von der Pharmaindustrie finanziert waren, ohne diesen Interessenkonflikt publik zu machen.

Was sind die Ursachen für Predatory Publishing?

„Publish or Perish“ wird gerne als Schlagwort genannt, und in der Tat ist der Druck, Forschungsergebnisse zu publizieren, insbesondere bei Nachwuchswissenschaftler/innen, hoch. Wer keine hohe Anzahl an Publikationen vorweisen kann, hat schlechte Karten, wenn es um Stellen oder Fördergelder geht. Fragwürdige Verleger nutzen das aus, indem sie Seriosität vortäuschen. Manche Autor/innen nutzen vielleicht auch ganz bewusst die Möglichkeit, schnell und unkompliziert zu einer Veröffentlichung zu kommen.

Der zweite Grund wurde, obwohl naheliegend, in der bisherigen Diskussion kaum genannt: Geld. Wissenschaftliches Publizieren ist ein Milliardengeschäft geworden. In Naturwissenschaften, Technik und Medizin wird der Markt von wenigen Großverlagen wie Elsevier, Springer Nature, Wiley und Taylor & Francis dominiert, die über Subskriptionen und Artikelgebühren Renditen im Bereich von 30 bis 40 % erwirtschaften. Das sind Renditen jenseits von Google, Apple & Co. Klar, dass da auch manch anderer ein Stück vom Kuchen abbekommen will. Wo solche Summen im Spiel sind, ist Betrug nicht weit.

Was hat das mit „Fake Science“ zu tun?

Von den Medien wurde die Berichterstattung über das Phänomen unter das Schlagwort „Fake Science“ gestellt. Das ist zumindest irreführend. „Predatory Publishing“, so die auch problematische, aber seit Jahren etablierte Bezeichnung, beschreibt ein Geschäftsmodell. Dieses Geschäftsmodell changiert von unseriös bis betrügerisch – je nachdem, was als Leistung des Verlegers behauptet und in Rechnung gestellt und was davon tatsächlich erbracht wird. Über den Inhalt ist damit nichts gesagt. Nur weil etwas auf einer fragwürdigen Plattform erscheint, ist es nicht notwendigerweise schlechte oder gar falsche Wissenschaft. „Fake Science“, also das (bewusste) Fälschen von Studien, ist ein ganz anderes und wesentlich ernsteres Problem. Natürlich erleichtert eine Zeitschrift ohne jegliche Qualitätskontrolle das Verbreiten von Fälschungen unter einem wissenschaftlichen Deckmantel ungemein. Fälschungen finden sich aber genauso und sogar ganz besonders in renommierten Zeitschriften. Abhängig von der betrügerischen Energie bzw. dem betriebenen Aufwand hat selbst sorgfältiges Peer Review klare Grenzen. Es kann zwar Fehler in Methodik, Hypothesen und Schlussfolgerungen erkennen, aber keine plausibel erscheinenden, doch gefälschten Ergebnisse. Die Grenzen und Probleme des Peer Review werden ein weiterer Baustein in dieser Blog-Reihe sein.

... arbeitet im Bereich Publikationsdienste der TIB und ist insbesondere für Beratung und Schulungen zum Thema Open Access zuständig.