Ein Prototyp zur explorativen, visuellen Suche

Sich einem neuen Thema in der Recherche zu nähern ist nicht immer ganz einfach. Anders als bei der Suche nach einem bekannten Buch oder dem Heraussuchen nach einer Literaturliste, fängt eine Recherche zu einem neuen, unbekannten Thema eher mit einem leeren Blatt Papier an. Welche Suchbegriffe soll ich nehmen? Welche Synonyme sind zu berücksichtigen? Welche Unterthemen gibt es, was sind angrenzende Themen? In diesem Beitrag möchte ich einen Prototyp für die explorative, visuelle Suche als ergänzendes Suchwerkzeug vorstellen.

Explorative Suche

Im Alltag benutzen wir überwiegend einen Suchtyp, der im Information Retrieval die Nachschlagen-Suche (Lookup Search) genannt wird. Das schnelle Nachschlagen von Fakten (wie wird heute das Wetter, wie sind die Öffnungszeiten der TIB) oder die sogenannte Know Item Search (Suche nach dem Buch Java ist auch eine Insel) sind Beispiele für diesen Suchtyp. Bei der explorativen Suche geht es übergeordnet um die Aneignung von Wissen, das Sichten von Informationen, deren Vergleich, Bewertung und Zusammenführung. Eine solche Suche ist meistens iterativ. Suchanfragen werden gesichtet, evaluiert und weitere Suchanfragen entsprechend dem Informationsbedürfnis und basierend auf bereits gefundenen Informationen neu formuliert. Explorative Suchsysteme bieten daher häufig eine besondere Visualisierung der Suchergebnisse an, mit denen der Nutzer interagieren und sich durch den Informationsraum bewegen kann. Die explorative Suche ist eine Kombination aus analytischer Suchstrategie mit explorativen, visuellen und interaktiven Browsing. 1

Der TIB-Etsimo-Prototyp

Die TIB hat gemeinsam mit der Firma Etsimo einen Prototyp mit Katalogdaten der TIB aufgesetzt, um Erfahrungen mit der explorativen, visuellen Suche zu sammeln. Bis Ende Februar kann in einer Testkollektion mit einer Million Datensätzen aus den Fächern Technik, Chemie, Physik, Mathematik und Informatik recherchiert werden. Mit der prototypischen Implementierung der Katalogdaten der TIB in den hier vorgestellten Etsimo-Piloten möchten wir das mögliche Potential für eine explorative, visuelle Suche für unsere Benutzerinnen und Benutzer ausloten.

Probieren Sie den Piloten aus und erkunden Sie neue Themen! Teilen Sie uns Ihre Erfahrungen und Meinung mit! Wir freuen uns über Ihre Rückmeldungen. Sie finden dazu auf den Seiten des Etsimo-Piloten einen Link auf ein Feedback-Formular und eine kurze Umfrage.

Den Prototyp erreichen Sie unter http://tib.etsimo.com.

Wie funktioniert die explorative Suche?

Die explorative Suche beginnt wie gewohnt mit der Eingabe eines Suchbegriffes. Neben einer altbekannten Trefferliste von Dokumenten fällt auf der linken Seite jedoch sofort das sogenannte Radar auf. Im Zentrum des Radars finden wir den Suchbegriff wieder, kreisförmig darum werden weitere Begriffe angezeigt. Je weiter entfernt ein Begriff vom Zentrum steht, umso weniger relevant stuft Etsimo den Begriff in Bezug auf den Suchbegriff ein. Beispielhaft sehen wir im Screenshot das Radar und die Trefferliste bei der Suche nach „Flüssigkristall“.

Screenshot Suchergebnis Etsimo
Suchergebnis in Etsimo

Bei einer herkömmlichen Suche würde ich an dieser Stelle nun die Trefferliste durchgehen. Ist das Suchergebnis unbefriedigend,  erweitere oder reduziere ich die Suchanfrage um Begriffe, schlimmstenfalls formuliere ich meine Suchanfrage komplett neu. Eventuell bietet mein Suchwerkzeug auch Facetten wie Erscheinungsjahr, Fach oder Dokumenttyp an, mit denen ich meine Trefferliste erschließen kann.

Mit einem explorativen, visuellen Suchwerkzeug wie Etsimo kann ich dagegen nach dem Absetzen der Suchanfrage den mir angezeigten Ausschnitt des Informationsraums im Radar erkunden. Mein Rechercheinteresse sind beispielhaft Typen und Anwendungsbereiche von Flüssigkristallen.

Dazu betrachte ich das Radar und verschiebe die Begriffe nach meinen Rechercheinteressen näher zum Zentrum hin oder weiter vom Zentrum weg. Dies geschieht durch Verschieben eines Begriffes bei gedrückter linker Maustaste, wie wir es vom Drag&Drop Mechanismus kennen. Passt ein Begriff so gar nicht zu meinem Suchinteresse, so verschiebe ich ihn außerhalb des Radars und lasse ihn dort fallen. Der Begriff „flüssigkristalline Polymere“ erweckt mein Interesse, diesen ziehe ich näher an das Zentrum des Radars.

Mit jedem Verschieben eines Begriffes auf dem Radar bewertet Etsimo die Relevanz von Treffern neu und zeigt ein optimiertes Radar mit neuen oder anders positionierten Begriffen und eine angepasste Trefferliste mit Dokumenten an. Basierend auf dem Relevanz-Feedback des Benutzers versucht Etsimo so abzuschätzen, was der Informationsbedarf des Benutzers ist und zeigt dazu passende Begriffe und Dokumente an. In meinem Fall erhalte ich nun ein Radar, was den Informationsraum zu den Begriffen „Flüssigkristalle“ und „flüssigkristalline Polymere“ darstellt, dazu passend eine Trefferliste mit Dokumenten. Je nach Position im Imformationsraum werden mir so kontextabhängig zugehörige Dokumente angezeigt. Diese Dokumente kann ich sichten, genauer ansehen und für später bookmarken.

Screenshot Suchergebnis Etsimo nach Interaktion
Suchergebnis Etsimo nach Interaktion

Diese interaktiven, Feedbackschritte lassen sich beliebig wiederholen, bis ich ausreichend Informationen zu meiner Fragestellung gefunden habe. So kann ich Informationen zu flüssigkristallinen Phasen, unterschiedlichen Typen von Flüssigkristallen oder die Anwendungsbereichen von Flüssigkristallen erschließen und dazu passende Dokumente sichten.

Mit der Eingabe eines neuen Suchbegriffes startet dieser Recherchezyklus von neuem. Mit Blick auf den Datenschutz sei angemerkt, dass sich Etsimo das Nutzerverhalten nur innerhalb eines Interaktionszyklus merkt und dieses nicht dauerhaft abspeichert.

Falls Sie das Thema explorative, visuelle Suchwerkzeuge interessiert, einige weitere Beispiele ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

... leitet das Lab Linked Scientific Knowledge und beschäftigt sich mit Wissens- und Forschungsdaten-Management und der Entwicklung und Anwendung von Ontologien.
Er ist zusammen mit Prof. Christoph Steinbeck, Universität Jena Sprecher des Chemiekonsortiums der NFDI4Chem in der Nationalen Forschungsdaten Infrastruktur.

Notes:
1. Marchionini, G. Exploratory search: from finding to understanding. Commun. ACM 49, 4 (Apr. 2006), 41–46