Das neue Zweitveröffentlichungsrecht im Urheberrecht – ein Schritt in Richtung Open Access! Oder doch nicht?!

Die Schwerpunktinitiative „Digitale Information“ der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen hat FAQ zum neuen urheberrechtlichen Zweitveröffentlichungsrecht veröffentlicht.

Seit dem 1.1.2014 lautet § 38 Absatz 4 UrhG:

„Der Urheber eines wissenschaftlichen Beitrags, der im Rahmen einer mindestens zur Hälfte mit öffentlichen Mitteln geförderten Forschungstätigkeit entstanden und in einer periodisch mindestens zweimal jährlich erscheinenden Sammlung erschienen ist, hat auch dann, wenn er dem Verleger oder Herausgeber ein ausschließliches Nutzungsrecht eingeräumt hat, das Recht, den Beitrag nach Ablauf von zwölf Monaten seit der Erstveröffentlichung in der akzeptierten Manuskriptversion öffentlich zugänglich zu machen, soweit dies keinem gewerblichen Zweck dient. Die Quelle der Erstveröffentlichung ist anzugeben. Eine zum Nachteil des Urhebers abweichende Vereinbarung ist unwirksam.“

„Na super“, denkt man bei der Lektüre des Textes, „dann kann ich meinen Artikel ja einfach auf einer Plattform frei schalten…“ 

Aber leider ist es doch nicht so einfach. Diejenigen, die die Debatte um das Zweitveröffentlichungsrecht mitverfolgt haben, wissen längst, dass auch bei dieser kurzen Formulierung der Teufel im Detail steckt und für jede Formulierung zunächst geschaut werden muss, wie sie definiert wird und wie der Gesetzgeber sie denn nun tatsächlich gemeint hat. Die Schwerpunktinitiative „Digitale Information“ der Allianz der Deutschen Wissenschaftsorganisationen hat mit den FAQ zum Zweitveröffentlichungsrecht die Informationen aus verschiedenen Quellen zusammengefasst und versucht sie handhabbar zu machen.

Ein Beispielfall:

Ein Professor der Chemie an einer öffentlich finanzierten Hochschule in Deutschland hat zu einem Forschungsprojekt, das er aus seinem regulären Etat finanziert, im Januar 2014 einen Artikel in einer Fachzeitschrift eines renommierten Verlags veröffentlicht. Dabei hat er einen Lizenzvertrag unterzeichnet, in dem er dem Verlag zeitlich unbefristet sämtliche Nutzungsrechte als ausschließliche Nutzungsrechte einräumt. Er hat vom neuen Zweitveröffentlichungsrecht gehört, zwölf Monate gewartet und veröffentlicht im März 2015 seinen Beitrag in der Manuskriptversion erneut auf dem Repositorium seiner Hochschule. Dem Repositorium räumt er im Rahmen des Publikationsvertrags des Repositoriums die Rechte für die Online-Bereitstellung und die Vervielfältigung in jedem beliebigen elektronischen und auch analogen Format ein. Darf er das?

Neben Fragen wie z. B. „Was ist eine Manuskriptversion?“ werden in den FAQ möglichst umfassend die im Gesetzestext verwandten Begriffe erklärt, die sich ergebenden Fragen benannt und der derzeitige Stand der Diskussion dargestellt. Dadurch können sich Wissenschaftler mit Hilfe der FAQ über sich nicht unmittelbar aus dem Gesetzestext ergebende Fallstricke informieren.

Für den oben beschriebenen Beispielsfall ergibt sich aus den Nr. 17 und 18 der FAQs, dass der Professor den Artikel allein aufgrund des ZVRs nicht hätte im Repositorium der Hochschule veröffentlichen dürfen: Das neue ZVR gilt nur für Publikationen aus drittmittelgeförderten Forschungsprojekten, bei der die Drittmittel zu mindestens 50 % aus öffentlichen Mitteln stammen, oder für Publikationen die im Rahmen von Forschung in außeruniversitären öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen entstanden sind. Das ZVR gilt also nicht für Publikationen aus Forschungsprojekten, die zu 100 % aus dem regulären Etat des Lehrstuhls finanziert wurden, auch wenn es sich um eine staatliche Universität handelt.

So ist das also.

In Nr. 24 der FAQ wird auch klargestellt, dass der Professor aufgrund des ZVRs nicht jeden Publikationsvertrag ungeprüft unterzeichnen kann, da das ZVR nur die Online-Bereitstellung gestattet. Sofern im Publikationsvertrag dem Repositorium darüber hinausgehende Rechte wie z. B. das Recht auch analoge Kopien anzufertigen, eingeräumt werden, ist dies nicht mehr durch das ZVR gedeckt. Klar ist damit auch, dass die Bereitstellung des Artikels unter einer Open Access Lizenz wie z. B. von Creative Commons, nicht gestattet ist: Mit jeder der sechs verschiedenen CC-Lizenzen räumt der Publizierende dem Repositorium und auch allen anderen Nutzern das Recht ein, Ausdrucke und sonstige Papierkopien anzufertigen und den Artikel in jeder Form über jedes Medium weiter zu verbreiten. Insbesondere die Einräumung von Rechten an Dritte ist vom ZVR nicht gestattet.

Der Wissenschaftler im Beispielfall kann sich also nicht auf das ZVR berufen.

Mit dem ZVR ist ein kleiner Schritt in Richtung Open Access getan – mit der Schaffung des ZVR wird anerkannt, dass eine Zweitpublikation möglich sein muss und dies nicht von den Vertragsbedingungen der Verlage abhängen darf. Die Regelung des ZVR greift jedoch viel zu kurz und ermöglicht wegen der engen Grenzen keine Open Access-Publikation im Sinne der Berliner Erklärung über offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen, da das Werk durch den Nutzer nicht zu jedwedem Zweck genutzt und in jeder Form (als Papierkopie und digital) kopiert und verbreitet werden darf. Es bleibt zu wünschen, dass die Verlage die Lücken, die diese Regelung lässt, durch entsprechend freizügige Regelungen in den Lizenzvereinbarungen mit den Autoren schließen, wie es vielfach auch bereits zum Standard gehört. Dies ist im internationalen Kontext besonders wünschenswert, da der Autor sich nicht sicher sein kann, ob er sich auf das ZVR aus dem deutschen Urheberrecht berufen kann (siehe Nr. 9-13 der FAQ).

Darüber hinaus ist für den vielleicht rechtsunkundigen Wissenschaftler die Anwendung der Regelung erschwert: Man kommt nicht umhin, im Einzelfall detailliert zu prüfen, ob das Zweitveröffentlichungsrecht Anwendung findet. Die FAQ der Schwerpunktinitiative „Digitale Information“ der Allianz der Wissenschaftsorganisationen zum ZVR sind aber eine gelungene Zusammenstellung der meisten zum Zweitveröffentlichungsrecht auftauchenden Fragen. Es werden meist die maßgeblichen Hinweise gegeben, auch wenn die erst am Anfang stehende juristische Diskussion um den Anwendungsbereich viele Fragen offen lässt. Zugleich sind diese FAQ ein Beitrag zur Diskussion. Es ist zu begrüßen, wenn sie (wie angekündigt) kontinuierlich aktualisiert werden und dabei die Handhabbarkeit für Fachwissenschaftler noch verbessert wird.

... ist Fachreferentin für Rechtswissenschaften, stellvertretende Justiziarin und Datenschutzbeauftragte der TIB