Opus Magnum goes Open Access?

Ein prominenter Gast der am Sonntag zu Ende gegangenen Frankfurter Buchmesse war Ian Kershaw, britischer Historiker und renommierter Hitler-Biograph. Kershaw gehört zu den wissenschaftlichen Autoren, deren Name selbst denjenigen bekannt sein könnte, die sich in einer Buchhandlung nie weiter als bis zu den Bestseller-Tischen im Eingangsbereich wagen. Sein neuestes Werk heißt „Höllensturz“ und erzählt die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert als eine Reise „To Hell and Back“ (so der englische Originaltitel). Das Feuilleton ist einhellig begeistert, dem Buch wird bereits der Status eines Standardwerks zugesprochen.

Können wir uns vorstellen, dass „Höllensturz“ auch im Open Access hätte erscheinen können? Lassen Sie uns ehrlich sein: Nein.

Das liegt natürlich hauptsächlich daran, dass der Autor und sein opus magnum einen eindeutigen Verkaufswert besitzen. Aber auch generell sind Open-Access-Publikationen in den Geistes- und Sozialwissenschaften eher exotische Ausnahme.

Anders als ihre Journal-Article publizierenden Kolleginnen und Kollegen aus Naturwissenschaften, Technik und Medizin werden Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen primär an ihren Monographien gemessen. Ein komplexes Thema monographisch zu analysieren und souverän zur Synthese zu bringen, das ist zweifellos der Gold-Standard. Spricht das gegen Open Access? Nicht zwangsläufig. Trotz traditioneller Affinität zum gedruckten Buch sind E-Books auch in diesen Disziplinen inzwischen als wichtiges Arbeitsinstrument akzeptiert. Der gleichzeitige Vertrieb von Print-Exemplaren bzw. Print-on-Demand-Modelle versöhnen mit dem Primat des Digitalen. Vor allem NachwuchswissenschaftlerInnen wissen darüber hinaus zu schätzen, wenn die Rezeption ihres Werkes steigt, weil frei darauf zugegriffen werden kann. Und dass zahlen muss, wer ein Buch publizieren will, versetzt hier niemanden in Erstaunen (Druckkostenzuschuss oder Pflichtabnahme). Von zentraler Bedeutung allerdings ist das mit dem Publikationsort verbundene Renommee: die Aufnahme in eine bestimmte Schriftenreihe oder in das Programm eines namhaften Verlages. Und obwohl auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften die Aufmerksamkeit für Open Access steigt, gibt es bislang nur wenige Angebote, um wissenschaftliche Bücher und Monographien in einem qualitätsgesicherten Umfeld Open Access publizieren zu können.

Hier ein kursorisch gedachter Blick auf die existierenden Möglichkeiten:

Viele große (meist internationale) Verlage und sogar einige kleinere bieten inzwischen die Option, Bücher und Monographien nicht als kostenpflichtiges E-Book, sondern im Open Access zu publizieren. Autorinnen und Autoren können manchmal sogar zwischen „goldenem“ und „grünem“ Open Access wählen. Sie müssen sich also entscheiden, ob das elektronische Buch unmittelbar mit dem Erscheinen der Printausgabe frei im Netz zur Verfügung stehen soll (gold), oder ob dies erst nach einer gewissen Embargofrist (grün) geschieht.

Zu dieser Entscheidung beitragen mag zweifellos der Preis, den die Verlage den AutorInnen dafür in Rechnung stellen. Für eine „Gold“-Monographie kann der durchaus zwischen 6.500 und 16.500 Euro liegen. Dass diese Zahlen mit DeGruyter und Brill von zwei großen Verlagshäusern stammen, die auch traditionell eher dem oberen Preissegment angehören, ist kein Zufall. Gerade die kleineren Verlage in Deutschland agieren eher zurückhaltend, wenn es darum geht, ihr Open-Access-Angebot verbindlich auf der eigenen Website zu dokumentieren. Konkrete Optionen und Kosten müssen stattdessen individuell angefragt werden (z.B. Franz Steiner, Barbara Budrich, Transcript).

Eine gute Alternative können Universitätsverlage darstellen, die zum Teil explizit als Open-Access-Verlage gegründet wurden. In Heidelberg beispielsweise ging 2015 Heidelberg University Publishing an den Start, um (nicht nur) den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der eigenen Universität ein angemessenes Publikationsforum zu bieten. Die verlegerischen Dienstleistungen von heiUP entsprechen im Kern denen der etablierten wissenschaftlichen Verlage. Der Preis für eine „Gold“-Monographie liegt mit 1.000 Euro hingegen deutlich darunter.

Nicht als Verlag, sondern als Förderangebot speziell für den geisteswissenschaftlichen Nachwuchs der Universität zu Köln und der Ludwig-Maximilians-Universität München versteht sich dagegen „Modern Academic Publishing“. Die Publikationsplattform ist ein Pilotprojekt der beiden genannten Universitäten und seit Mai 2015 online. Die Initiatoren setzen auf die erhöhte Sichtbarkeit, die NachwuchswissenschaftlerInnen durch Open-Access-Publikationen erzielen können, und zwar in einem qualitätsgesicherten Umfeld: In MAP aufgenommen werden Dissertationen, die mindestens mit „sehr gut“ (magna cum laude) bewertet wurden, sowie Post-Doc-Publikationen mit mindestens zwei Publikationsempfehlungen. Ein Preismodell gibt es allerdings noch nicht, bislang werden die Publikationen noch komplett von den beiden Universitäten gefördert.

Etwas aus dem Rahmen dieser Übersicht fällt mit „Knowledge Unlatched“ ein inzwischen recht prominentes Modell zur Finanzierung von Open-Access-Buchpaketen per Crowdfunding. Dabei stellen teilnehmende Verlage (inzwischen sind es 54) Listen von Titeln zusammen, die sie für einen festgesetzten Betrag zur Publikation unter einer Creative-Commons-Lizenz freigeben. Die Titel werden zu Kollektionen zusammengestellt und diese Kollektionen den Bibliotheken weltweit in einer Bieterrunde angeboten. Beteiligen sich genug Bibliotheken mit einer Zahlungszusage, werden die elektronischen Bücher frei zugänglich gemacht. Das Modell ist für Bibliotheken und deren Fachreferenten durchaus nicht unattraktiv: Zum einen, weil es überhaupt eine Möglichkeit bietet, Open Access in den Geistes- und Sozialwissenschaften zu fördern. Zum anderen lässt es sich recht mühelos in den etablierten Erwerbungs-Geschäftsgang integrieren, funktioniert es doch ähnlich wie ein Konsortial- bzw. Buchpaketkauf. Allerdings: Ob Open Access oder nicht – darüber entscheiden bei diesem Modell nicht die AutorInnen, sondern die Verlage und zwar, das wird man getrost unterstellen dürfen, unter ausreichender Berücksichtigung ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen. Die Durchschnittskosten pro freigekauftem Buch liegen mit 15.000 Euro durchaus im oberen Bereich.[1]

Und wenn das Buch erschienen ist? Die beiden Plattformen der OAPEN Foundation – OAPEN Library und Directory of Open Access Books (DOAB) – verzeichnen die Open-Access-Bücher und sorgen für ihre Verbreitung. Über Metadaten-Harvesting oder -Download lassen sich die Nachweise außerdem für Bibliothekskataloge und andere Services übernehmen. Auf diese Weise kann sich übrigens jede Bibliothek für die Verbreitung von Open Access in den Geistes- und Sozialwissenschaften einsetzen. Denn zukünftig wird es nicht nur darum gehen, die unterschiedlichen und vielversprechenden Ansätze und Geschäftsmodelle zu etablieren und weiterzuentwickeln. Sollte ich mich nämlich in meiner Einschätzung irren und der angekündigte zweite Band von Ian Kershaws „Höllensturz“ erscheint im Open Access, würde ich mich freuen, ihn auch mit einem Klick über meine Bibliothek zu finden.

[1] Dieser Preis gilt für die Frontlist-Kollektion KU Select 2016 mit 147 Titeln. Knowledge Unlatched setzt für die Bieterrunde 2016 eine Mindestbeteiligung von 300 Bibliotheken an, bei der von jeder teilnehmenden Bibliothek maximal 7.350 Euro zu leisten sind. (Der Gesamtpreis für die Kollektion beläuft sich also auf 2.205.000 Euro.) Bei einer höheren Beteiligung verringert sich der Betrag pro Bieter (http://www.schweitzer-online.de/info/Knowledge-Unlatched/).

„… arbeitet im Referat Lizenzen und betreut dort Angebote und Aktivitäten zur Open-Access-Finanzierung