Die „Hague Declaration“ von LIBER – eine Vision

Wie wäre es, wenn Wissenschaftler und Infrastruktureinrichtungen Fakten, Daten und Ideen mit technischen Mitteln aus Publikationen extrahieren und analysieren könnten, ohne sich über das Urheberrecht Gedanken machen zu müssen?

Dann könnten Wissenschaftler ihre Kräfte darauf konzentrieren, dem digitalen Zeitalter angemessene Technologien zu entwickeln, um aus den bereits vorhandenen Sammlungen von Fakten, Daten und Ideen und sonstigen Inhalten mit Hilfe von Text- oder Data-Mining (Content-Mining) neue Muster und Trends zu entdecken. Und mit dem dadurch gewonnenen Wissen könnte man Herausforderungen unserer Zeit begegnen, z. B. dem Klimawandel, Arbeitslosigkeit, Unterstützung der ökonomischen und sozialen Entwicklung in allen Teilen der Erde. 

Fakten, einzelne Datensätze und Ideen sind ohnehin urheberrechtsfrei. Aber natürlich die Texte, Datensammlungen und sonstigen Objekte nicht unbedingt, aus denen sie mit Content-Mining entnommen werden könnten. Die hierfür notwendigen Rechte muss man im Zweifel lizenzieren – eine unüberwindliche Hürde für Wissenschaftler und Infrastruktureinrichtungen, die Content-Mining Technologien entwickeln und nutzen wollen.

Eigentlich sollte das Urheberrecht nie dazu dienen, die freie Verbreitung von Wissen zu beschränken oder zu regulieren, sondern Forschung und Innovation zu fördern. Das Urheberrecht ist aber noch von den in einer analogen Welt üblichen Akteuren, Interessen und Nutzungsrechten geprägt: Zunächst die Innovation durch die Urheber, deren Schaffen dann durch Verlage und andere ggfls. kommerziell verwertet wird, wovon die Urheber wieder finanziell profitieren (sollten). Im Wissenschaftskontext läuft dies meist ins Leere, da die Wissenschaftler selbst von ihren Publikationen vor allem durch den Reputationsgewinn profitieren. Mittlerweile gibt es im Wissenschaftskontext auch mehr Akteure im Verwertungsprozess, wie z. B. Bibliotheken bzgl. der dauerhaften Speicherung und Zugänglichmachung von Publikationen und Datensammlungen. Als neue Nutzungsform ist Content-Mining hinzugekommen. Einerseits fällt es nicht unter den ohnehin urheberrechtsfreien Werkgenuss und andererseits ist die juristische Diskussion über die Einordnung unter die betroffenen Verwertungsrechte bzw. Schrankenregelungen noch nicht abgeschlossen. Content-Mining ist aber längst schon eine anerkannte Methode, um Daten auszuwerten und neue Zusammenhänge zu finden.

Das Urheberrecht muss sich also neu positionieren, dies hoffentlich zugunsten von freier Forschung an ohnehin eigentlich urheberrechtsfreien Fakten, einzelnen Datensätzen und Ideen im Wege des Content-Mining.

Das europäische Netzwerk für wissenschaftliche Bibliotheken LIBER (Ligue des Bibliothèques Européennes de Recherche) hat in der Hague Declaration diese Forderungen an ein zeitgemäßes Urheberrecht bzgl. Content-Mining zusammengefasst und adressiert darüber hinaus die verschiedenen Ebenen, auf denen agiert werden kann/muss mit einer „Roadmap for Action“…

Es bleibt zu hoffen, dass diese Vision einmal Realität wird und dass dieses Dokument möglichst viele Unterstützer finden möge:

Hier kann die Hague Declaration online unterzeichnet werden

Die TIB hat die Hague Declaration unterzeichnet. Zudem ist die TIB an der Ad-hoc-Arbeitsgruppe Text und Data Mining der Schwerpunktinitiative „Digitale Information“ der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen beteiligt. Mit einer Umfrage zu Anforderungen der Wissenschaft an Text- und Data-Mining möchte diese Arbeitsgruppe ermitteln, welche Anforderungen es in den unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen an Text- und Data-Mining gibt und entsprechende Handlungsbedarfe und Empfehlungen daraus ableiten.

... ist Fachreferentin für Rechtswissenschaften, stellvertretende Justiziarin und Datenschutzbeauftragte der TIB