Neue Plattform für SpringerMaterials … und wo ist der Landolt-Börnstein?

Wahrscheinlich ist es der Einen oder dem Anderen schon aufgefallen: SpringerMaterials hat seit Anfang März 2015 eine neue Nutzeroberfläche. Dabei ist die Ausrichtung auf die Suche von Stoffdaten deutlich verstärkt worden. 

Neben den Inhalten des Landolt-Börnstein, sind folgende Datenbanken eingebunden:

  • Pauling File als Datenbank zu „Inorganic Solid Phases“ mit dem Schwerpunkt auf Kristallstrukturen, Phasendiagrammen und physikalische Eigenschaften anorganischer Verbindungen.
  • Teile der Dortmund Data Bank mit Daten zu thermophysikalischen Eigenschaften von Reinstoffen und ihren Gemischen
  • Daten zu Adsorptionsisothermen („Adsorption Database“)
  • Datensätze zu thermodynamischen Eigenschaften von Polymeren („Polymer Thermodynamics Database“)
  • Dokumente zur Stoffsicherheit („Chemical Safety Documents“)

sowie jetzt neu

  • SPRESIweb mit Informationen zu Synthesewegen und Chemischen Reaktionen.
    Allerdings erfordert SPRESIweb eine zusätzliche Lizenz, auf die wir aus guten Gründen verzichten: Mit dem SciFinder bzw. CA on Web sowie Reaxys bieten wir die zentralen Datenbanken zu chemischen Reaktionen für den Campus an!

Angekündigt wurde außerdem die Einbindung der MSI Eureka mit Zustandsdaten anorganischer Materialien – wir dürfen gespannt sein.

Auch die neuen Suchfunktionalitäten fokussieren sich auf Stoffdaten. Neben der Eingabe von Suchtermen, ist die Suche nach Elementen und ihren Verbindungen über ein Periodensystem möglich, außerdem lassen sich Strukturen zeichnen und so suchen. (Wie man es vom SciFinder oder aus Reaxys kennt.) Die Möglichkeit, sich die Inhalte des Landolt-Börnstein thematisch über ein „Bookshelf“ browsend zu erschließen ist leider ohne adäquate Alternative entfallen; dazu weiter unten mehr. 

Zunächst die positiven Neuerungen an Suchbeispielen:

Stoffdaten des Halbleiters CuGaSe2 lassen sich über das Periodensystem recherchieren.
Unter dem Stoffsystem Cu-Ga-Se sind 80 Treffer gelistet:

Treffer zur Suche nach dem System Cu-Ga-Se in SpringerMaterials.
Treffer zur Suche nach dem System Cu-Ga-Se in SpringerMaterials.

Richtig schön ist, dass die Treffer über „Properties“ nach Stoffeigenschaften – wie z.B. der Dielektrischen Konstante – gefiltert werden können.

Schön, wenn der Suchende dann mit den Werten, z.B. zu Copper gallium selenide (CuGaSe2) impurities and defects (als PDF eines Kapitels aus dem Landolt-Börnstein) sofort etwas anfangen kann.

Schwierig wird es, wenn die im PDF aufgeführten Daten noch weitere Hintergrundinformationen bzw. Erläuterungen z.B. zu den Verfahren oder den Randbedingung der Messungen erfordern. Diese stehen nämlich in den Einleitungen der jeweiligen Landolt-Börnstein-Bände, und es ist gar nicht so einfach, vom Datensatz auf diese Einführungen zu kommen.

Abschnitt zu Impurities and Defects als PDF aus Landolt-Börnstein (Band ) via SpringerMaterials
Abschnitt zu Impurities and Defects als PDF aus Landolt-Börnstein (Band ) via SpringerMaterials

Auf der HTML-Seite Copper gallium selenide (CuGaSe2) impurities and defects zum PDF findet sich der – leider unverlinkte – DOI des Buches, hier 10.1007/b72741 (als Link dann dx.doi.org/10.1007/b72741). Darüber landet man auf dem Eintrag zum Buch in SpringerMaterials. Lädt man sich die Einleitung als PDF herunter und öffnet es mit dem Adobe Reader (nicht im Browser-Plugin!), kann man im PDF auf der linken Seite auch im Inhaltsverzeichnis zu der passenden Einführung „Impurities and defects“ kommen. Puh … Blättern im gedruckten Werk ist einfacher.

Vielleicht sehe ich das zu bibliothekarisch, aber ich habe den Eindruck, dass hier der Übergang von der gedruckten Landolt-Börnstein-Welt zur elektronischen SpringerMaterials-Welt (als Stoffdatenbank) noch nicht ganz ohne Brüche gelungen ist.

Zurück zu den positiven Aspekten:

SpringerMaterials: 3D Ineractive Structure von CuGaSe2
SpringerMaterials: 3D Ineractive Structure von CuGaSe2

Toll ist die Einbindung der Strukturinformationen aus Inorganic Solid Phases. Hier werden nicht nur kristallographische Daten (auch als CIF-File) dargestellt, die Strukturen lassen sich sogar über die 3D Interactive Structure visualisieren.

Auch die Phasendiagramme aus Inorganic Solid Phases überzeugen. Hier kann man sich per Mouse-Over die exakten Mischungsverhältnisse zu den Datenpunkten anzeigen lassen. Hilfreich ist auch die Verlinkung zu den kristallographischen Daten (Crystallographic Datasheets) der einzelnen Phasen.

SpringerMaterials: Substance Profile 1,2-Ethanediol
SpringerMaterials: Substance Profile 1,2-Ethanediol

Sehr schön ist, dass es zu vielen Substanzen ein sogenanntes „Substance Profile“ gibt. Sucht man z.B. nach der CAS-Nummer von 1,2-Ethanediol 107-21-1, so ist der erste Treffer das Substance Profile, für das Informationen aus SpringerMaterials zusammengeführt wurden. Die Angaben unter Chemical Properties + Synthesis sind dann allerdings für Campusnutzer nicht mehr verlinkt, da wir, wie oben gesagt, aus guten Gründen die Datenbank SPRESIweb nicht lizenziert haben.

So hilfreich all diese Tools und aufbereiteten Stoffdaten in SpringerMaterials sind, leider geraten mit der Fokussierung der Suchfunktionalitäten auf die Materialdaten wesentliche Inhalte des Landolt-Börnstein aus dem Blickfeld.

Landolt-Börnstein
Ein Teil der gedruckten Bände des Landolt-Börnstein im Großem Lesesaal in Haus 1.

Natürlich war und ist der Landolt-Börnstein von Anfang an vor allem eine Datensammlung.1
Schaut man sich die Bände des Landolt-Börnstein bei uns im Lesesaal an, dann wird der Begriff „Datenflut“ physisch greifbar. Aus einem einzelnen Band wurde ein mehrbändiges Werk, später auch mit Teilbänden. Dann, seit 1961 als „Neue Serie“ ein mehrbändiges Werk mit 8 Unterreihen (Gruppen) und Teilbänden, seit 1992 auf Englisch als  Numerical data and functional relationships in science and technology : new series. Ich habe Heidenrespekt vor unseren Katalogisiererinnen, die hier den Überblick bewahren.

Die einzelnen Gruppen des Landolt-Börnstein zeigen sehr schön, dass eben nicht nur Daten von Werkstoffen, sondern von Materialien in einem sehr weiten Sinne gesammelt werden: Daten aus Atom- und Kernphysik, von Molekülen und Radikalen, Kondensierter Materie, aus der Physikalischen Chemie, Geophysik, Astronomie und Astrophysik, Biophysik, und zu neuen Werkstoffen und Technologien.

Häufig gibt es einführende Kapitel zu den Verfahren, wie die verwendeten (Meß)Techniken, zu Instrumenten, aber auch zur Theorie hinter den Messungen oder zugrundeliegenden Berechnungen. Diese Beiträge geben damit einen umfassenden Überblick zum aktuellen Stand und haben meist eine ausführliche Literaturliste. Damit wird der Landolt-Börnstein zur umfassenden Wissensquelle, die sich nicht auf die reinen Zahlenwerte beschränkt. (Wie schon dargestellt, ist in SpringerMaterials leider der Bezug zu den Hintergrundinformationen „rund um“ den Datensatz nicht immer erhalten geblieben, im Buch blättert man einfach nach vorne …).

Den Review-Charakter des Landolt-Börnstein möchte ich hier zum Schluss noch an ein paar wenigen Beispielen illustrieren:

So ergibt die Suche nach „Diffusion“ mehr als 6000 Treffer im Landolt-Börnstein. Wer unter diesen Treffern stöbert, findet nicht nur reine Diffusionsdaten, sondern auch Einführungen zur Diffusion in nicht-metallischen Stoffen oder zur Diffusion in speziellen Materialien, wie z.B. Diffusion in schnellen Ionenleitern.

Zu Quantendrähten gibt es ebenfalls eine Vielzahl von Artikeln, die über reine Zahlenwerte von Eigenschaften hinaus gehen.

Auch Informationen zu Gravitationswellen und ihren Detektoren sind enthalten oder Einführungen rund um das Higgs-Teilchen mit Artikeln zur Elektroschwachen Wechselwirkung aber auch zum LHC und Perspektiven der Elementarteilchenphysik.

Für Hannoveraner dürften u. a. die Bände zu Lasern in Physik und Technik äußerst interessant sein, in 3 Teilbänden werden unterschiedliche Arten von Lasern (Laser Systems) vorgestellt.

Ach ja, und weil es so schön ist: Auch Wissenschaftler aus Hannover haben als Autoren zum Landolt-Börnstein beigetragen!

... ist Fachreferentin für Physik und zuständig für die Nationale Kontaktstelle im Netzwerk arXiv-DH

Notes:
1. Wer sich ausführlich mit der Historie des Landolt-Börnstein befassen möchte, kann in Der Landolt-Börnstein : Erfolgsgeschichte einer wissenschaftlichen Datensammlung im Springer-Verlag / Hrsg. und Autoren: O. Madelung u. R. Poerschke nachlesen