Technik verantworten – Ein Technik-Salon über angewandte Technikethik, moderiert von Nicole Karafyllis

Der Technik-Salon am 30.10. in der Technischen Informationsbibliothek stand unter der Überschrift „Technik verantworten“. So facettenreich dieses Motto, so breit war auch der Kreis der Teilnehmer: Sechs Personen kamen zu Wort, stellvertretend für die 21 Autorinnen und Autoren, die Beiträge zu einem neuen Buch geliefert haben und nun zu einer öffentlichen Book-Release-Party eingeladen waren.

Buchcover
Verantwortung von Ingenieurinnen und Ingenieuren. Hrsg. von Lutz Hieber und Hans-Ullrich Kammeyer. Heidelberg (Springer) 2014, VIII, 229 S. ISBN: 978-3-658-05529-5 (Print) 978-3-658-05530-1 (Online) – Campusweiter Zugriff (Universität Hannover) als e-Book unter http://dx.doi.org/10.1007/978-3-658-05530-1

Durch den Abend führte Nicole Karafyllis, im Hauptberuf Professorin für Technikphilosophie an der TU Braunschweig; ihre Rolle als Moderatorin war ein Glücksfall für den Verlauf der Veranstaltung. Nicole Karafyllis eröffnete mit einer Einschätzung des Buches und einem kursorischen Durchgang durch einschlägige Fragestellungen einer zeitgemäßen Technikethik. Da ihre Ausführungen, anders als die anderen Beiträge, nicht Teil des Buches sind, werden sie hier etwas ausführlicher wiedergeben.

An dem Buchprojekt von Kammeyer/Hieber hob Nicole Karafyllis als besonders bemerkenswert hervor, dass hier Ingenieure in eigener Sache das Wort ergreifen. In 21 Beiträgen – ein paar von Soziologen und Philosophen, aber mehrheitlich von Ingenieuren – konfrontieren sich die Autoren selbst mit der Verantwortungsfrage, und zwar so, wie sich Verantwortung in ihrem Beruf technisch stellt. „Dazu gibt es bislang gar kein Buch. Denn meist wird der schwierige Begriff der Verantwortung von Philosophen oder von Juristen erläutert.“

So gehe es in dem Buch um Fragen wie: Welche Entscheidungsspielräume habe ich eigentlich in meinem Ingenieurshandeln? Wie kann ich gesellschaftliche Bedürfnisse besser verstehen? Wie kann ich anderen beibringen (Studentinnen und Studenten, aber auch Mitbürgern), verantwortlicher bei der Planung von und im Umgang mit Technik zu sein? Wie denke ich selber diejenigen Probleme, die die Technik dann lösen soll? Habe ich vielleicht selbst so was wie ein mechanistisches Weltbild? Sollte ich das infrage stellen?

„Das Buch zeigt ein extrem hohes Niveau von Selbstreflexion der Ingenieure und Ingenieurinnen über ihr eigenes Tun und Denken.“ Man stelle sich selbst auch infrage: Tue ich eigentlich das Richtige? Und – was moralisch ja noch wichtiger wäre im Hinblick auf Verantwortung – tue ich wirklich etwas Gutes mit meinem Handeln? Und wenn ich Zweifel habe, wie kann ich diese Zweifel ausräumen, was kann ich besser machen? Und wer kann mir dabei helfen?

Nicole Karafyllis begrüßt aber auch generell, dass hier eine nachdenkliche Haltung gegenüber Technik zutage tritt und sich publizistisch zu Wort meldet. Noch dazu initiiert von einer technischen Körperschaft: der Ingenieurkammer Niedersachsen und deren Präsidenten Hans-Ullrich Kammeyer. Der habe mit der Initiative zu diesem Projekt die Zeichen der Zeit erkannt, unterliege doch die Technik und mit ihr die technisierte Gesellschaft so tief greifenden Veränderungen, dass diesem technisch induzierten Wandel mit schlichten Annahmen nicht mehr beizukommen sei, sondern das Nachdenken und der kritische Verstand – auch der Ingenieure selbst – herausgefordert sei.

An dieser Technikreflektion habe es in den letzten 15 Jahren häufig gefehlt. Erlebten die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts noch einen recht lebendigen Technikdiskurs, der zumeist um die Begriffspole „Risiko“ und „Sicherheit“ kreiste, so wurde es im neuen Jahrhundert still um die Frage von Technik und Verantwortung, weil das Motto des Schneller-höher-weiter für längere Zeit alles Kritische oder auch nur Reflektierende in den Schatten stellte. „Innovation und Standortsicherung sind zu K.o.-Begriffen der drängenden Frage geworden, wie sich eigentlich das Zusammenspiel von Technik und Verantwortung in den letzten Jahren verändert hat – und wie wir diese Herausforderung angehen wollen.“

Karafyllis nennt vor allem drei Herausforderungen, die allesamt auch bei den Autoren des Buches anklingen: den Wandel der Gesellschaft, der Ökonomie und der Arbeitswelt.

  1. Heutige (postmoderne) Gesellschaften sind fragmentiert. Man kann gar nicht mehr vernünftig von ‚der‘ Gesellschaft sprechen. Folglich kann man kann meistens auch nur partikulare Interessen zufriedenstellen. Es wird kaum mehr ein großes technisches System geben, das alle zufriedenstellt, sondern immer nur einige: Das heißt, es werden immer Leute übrig bleiben, die nicht zufrieden sind. „An wem“, fragt Karafyllis, „wird diese Nichtzufriedenheit abgearbeitet? Und muss man vielleicht auch im Ingenieursberuf geschult werden, diese Frustrationen mit auszuhalten? Was bis jetzt nicht passiert.“
  2. In der heutigen, weltweit agierenden New Economy werden die Produktzyklen von Innovation immer kürzer: Man muss als erster mit einem Produkt am Markt sein. So gelangen – aus einer ökonomischen Logik heraus – verstärkt technisch unausgereifte Produkte auf den Markt, bei denen spätere Nachbesserungen von vornherein mit einkalkuliert sind. Spektakuläre Rückrufaktionen sind inzwischen an der Tagesordnung. Diese Ökonomie widerspreche aber eklatant dem Berufsethos von Ingenieuren, best practice zu verwirklichen, und treibt Ingenieure in ein zweifaches Dilemma: gegenüber ihrer Fachkultur, aber auch gegenüber ihrem Gewissen. „Wer holt sie da eigentlich ab? Wer hilft ihnen mit diesem Konflikt, den sie haben?“
  3. Auch hat die New Economy mit ihren Tendenzen der Vernetzung, flacher Hierarchien und rasant voranschreitender Computerisierung starke Auswirkungen auf die Arbeitswelt der Ingenieure: Sie arbeiten sehr viel mit Simulationen – Ingenieursarbeit ist virtueller geworden. Und Ingenieursarbeit ist Arbeit im Team, mit hohen Anforderungen an das Kommunikationsvermögen – „wird man dafür eigentlich geschult?“

Die Arbeitswelt von Ingenieuren hat sich rapide verändert. Der Ingenieur ist nicht mehr der einsame Tüftler, sondern er ist in einen komplexen Prozess der Produktentwicklung „eingebunden – oder sogar eingesponnen“, und in diesem komplexen Prozess stelle er sich die Frage: Was kann ich eigentlich selber noch gestalten? Wie viel wird mir vorgegeben? Was kann ich dort selber machen, angesichts von technischen Normen und ökonomischen Zwängen? Das Berufsbild des Ingenieurs müsse sich heute, so Karafyllis, wie alle anderen Berufsbilder auch, einem gesellschaftlichen Modell von Selbstverwirklichung öffnen. „Daher stellt sich die Frage: Wie kann ich mich als Ingenieur eigentlich selbst verwirklichen?“

So kam Nicole Karafyllis zum Abschluss ihrer einleitenden Ausführungen auf die Frage des Nachwuchsmangels zu sprechen. In zahlreichen Studien sei deutlich geworden, dass die jüngere Generation den Ingenieursberuf nicht mehr ohne Weiteres – Karafyllis betont: „nicht ohne Weiteres“ – als erstrebenswert ansieht. Dies sei nicht nur ein gesamteuropäisches Phänomen, auch die USA verzeichneten sinkende Studierendenzahlen in den traditionellen technischen Fächern, besonders im Maschinenbau und der Elektrotechnik.

Man müsse hierbei die extrinsische von der intrinsischen Motivation unterscheiden: Junge Leute fragen, „was habe ich für eine Job- und Einkommensperspektive?“ Sie fragen aber auch: „Macht mich dieser Beruf glücklich?“ Ingenieursverbände ständen hier vor die Herausforderung, ihre Berufsbilder mit normativen Zielen zu versehen, die deutlich machen, warum der Beruf sinnvoll ist und warum man, wenn man ihn tut, etwas Gutes tut. So hätten etwa Studiengänge, die Ingenieur- und Umweltwissenschaften miteinander kombinieren, eine überdurchschnittlich gute Auslastung.

Sozial- und Geisteswissenschaftler stellt sich heute die Frage: Gibt es so etwas wie Sättigungseffekte in spätmodernen Gesellschaften? Angesichts des erreichten Standes an Technisierung fragten viele Menschen: Muss man wirklich alles planen und kontrollieren? Und brauchen wir noch mehr Technik?

Aus diesem Zeitgeist heraus gerät der Ingenieur als Exponent einer technisierten Welt schnell in die Rolle eines Stellvertreter-Buhmanns – ungerecht findet das Nicole Karafyllis. Sie tritt aber auch einem anderen, häufig geäußerten Vorwurf entgegen: Gerade Deutschland, sagten viele, besonders auch in der politischen Arena, sei ein Land der großen Technikkritik. Karafyllis bezweifelt das. Denn es gebe ja auch starke Gegenbewegungen. So etwa der gegenwärtige Do-it-yourself-Hype: der Wunsch, Dinge selbst herzustellen, und das dazugehörige eifrige Fachsimpeln unter Jugendlichen, das zwar teilweise mehr in Richtung eines Handwerks zeige, aber mit dem Verdikt der Technikfeindlichkeit doch überhaupt nicht in Einklang zu bringen sei.

Ein Statement, mit dem Nicole Karafyllis ihre Empathie für die heutige junge Generation zum Ausdruck brachte – es sollte nicht das einzige an diesem Abend bleiben -, und mit dem sie in den Gesprächsteil mit dem Präsidenten der Ingenieurkammer Niedersachsen, Hans-Ullrich Kammeyer, dem Soziologen Lutz Hieber, den Ingenieuren Rainer Heimsch, Wolfgang Mathis und Jörg Seume sowie der Ingenieurin Sabine Langer überleitete.