„The Wikipedia Journal“ — Crowdsourcing als Open Access-Geschäftsmodell?

In lockerer Folge haben wir in den letzten Wochen Journals vorgestellt, die Open Access erscheinen, d.h. weltweit frei zugänglich sind. Open Access bedeutet natürlich auch, daß keine Einkünfte durch Verkauf, Abo oder Online-Lizensierung erzielt werden. Bei den beiden bisher besprochenen Beispielen, PLoS ONE und PeerJ, werden Profis, die den Betrieb der Journals gewährleisten, letztlich aus Gebühren bezahlt, die von den Autoren gezahlt werden — pro Artikel bei PLoS ONE, als Flatrate bei PeerJ.

Nun fällt auf, daß die meisten der ca. 8.000 peer-reviewten Open Access Journals auch ohne Autorengebühren auskommen. Bis zu einem gewissen Punkt ist das auch deshalb möglich, weil das Internet selbst, weitere darauf aufbauende freie Infrastrukturen sowie freie Software die Sachkosten zur Erstellung und Verbreitung wissenschaftlicher Inhalte deutlich senken. So kommt es unter anderem zu Journals mit „Schnürsenkel-Budgets“, d.h. alle notwendigen Arbeiten werden — meist von einzelnen Mitarbeitern wissenschaftlicher Einrichtungen — nebenher erledigt. Dieses Modell scheint für viele Zwecke auszureichen — allerdings ohne daß die jeweiligen Journals weit über ihr Kern-Publikum hinaus bekannt werden.

Wie wäre es nun, ein Open Access-Journal mittels Crowd Sourcing zu betreiben — d.h. ohne den Autoren Gebühren abzuverlangen, aber zugleich auch ohne alle notwendigen Arbeiten von wenigen EinzelkämpferInnen erledigen zu lassen?

Das klingt nach Science Fiction? Mag zwar sein, allerdings klang die Idee eines massiven kostenlosen Online-Lexikons vor zehn Jahren auch nach Science Fiction. Die Wikipedia — sie scheint das glatte Gegenteil zum wissenschaftlichen Wissen zu sein, das wir heute vorwiegend in Journals suchen und finden. Wikipedia funktioniert gerade, weil über den Artikeln nicht der Name eines verantwortlichen Hauptautors prangt. Denn Ziel und Zweck des Mitschreibens an der Wikipedia sind nicht die Lorbeeren akademischer Anerkennung, sondern der Spaß daran, eigenes Wissen partizipativ in ein vielgelesenes Werk einfließen zu lassen. Das geht so weit, daß die Wikipedia sogar explizit originäre Forschungsergebnisse aussperrt — zurecht, denn nach traditionellem Verständnis haben diese in einer Enzyklopädie nichts verloren.

Vor einigen Tagen traf sich die internationale Konferenz Wikipedia Academy 2012 in Berlin. Dort wurde auf Initiative des Mediziners James Heilman u.a. ein Vorschlag diskutiert, der ursprünglich schon vor drei Jahren von Wikipedia-Autor Liam Wyatt gebloggt worden war: Laßt uns ein (oder mehrere) Wikipedia Journals gründen!  Die Idee klingt ein wenig nach der Quadratur des Kreises: Die extrem bekannte, auf der Arbeit zahlreicher Freiwilliger beruhende und technisch gut ausgebaute Plattform Wikipedia solle, so der Vorschlag, auch Raum bieten für Aufsätze von Einzelautoren (bzw. geschlossenen Autorenteams), einschließlich „traditioneller“ Qualitätssicherung durch Peer Review mit abschließend „fertigen“ Artikelversionen.

Warum sollten die Wikipedia-Autoren das wollen? — Die Wikipedia-Community hat sich das Ziel gesetzt, den Anteil der am Projekt mitarbeitenden WissenschaftlerInnen deutlich zu erhöhen. Wissenschaftlich hochwertiger Content, so nun die Überlegung des Journal-Vorschlags, läßt sich leichter in das Kernprojekt Wikipedia (also die kollaborativ geschriebene Enzyklopädie) übertragen, wenn mehr Wissenschaftler mit der Plattform vertraut sind.

Warum solten wissenschaftliche Autoren das wollen? — Viele WissenschaftlerInnen weltweit stehen der Wikipedia heute neugierig bis aufgeschlossen gegenüber, aber vor allem das „anyone can edit“-Prinzip läßt sie von einer aktiven Beteiligung zurückschrecken — siehe oben. Dies könnte sich mit dem Wikipedia-Journal ändern. Auch ohne Autorengebühren eine etablierte Publikations-Platttform zu verwenden könnte attraktiv genug sein, um dort tatsächlich eigene, „zitierfähige“ Artikel abzuliefern.

Wir warten gespannt darauf, ob dieses Projekt tatsächlich in Angriff genommen wird, wie es verläuft — und werden hier ggf. natürlich darüber bloggen.

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